Ich befinde mich gerade am Ende einer ganz besonderen Zeit. Pfingstferien. Die vier Wochen Urlaub in diesem Jahr sind damit auch schon aufgezehrt. Also für mich die letzte Urlaubswoche bis Weihnachten. Zeit zum Erholen. Zeit, um das zu tun, was sonst oft untergeht. Einfach in den Tag hineinleben, die Gedanken baumeln lassen, Fokus finden, lesen. Insbesondere lesen. Mein Papa hat mir beigebracht, dass Langeweile und Nichtstun essentiell für Kreativität sind. Deshalb kommen oft im Urlaub die großen Fragen, aber auch die großen Ideen! Lesen ist da sehr förderlich. Zumindest, wenn man nicht nur für das persönliche Entertainment liest. Zurück im Alltag kann ich jetzt da weitermachen, wo ich aufgehört habe, befruchtet von der Urlaubszeit, mit dem ein oder anderen gedanklichen Souvenir.
Direkt der Montag dieser Woche präsentierte den ersten Stolperstein. Eine Auseinandersetzung über die Gestaltung eines Flyers förderte das Problem zu Tage. Die zu bewerbende Veranstaltung erfordert die Bereitschaft zu einem Mindestmaß an kritischer, analytischer und intellektueller Auseinandersetzung. Meiner Meinung nach sollte das zur Grundausstattung aller Studierenden gehören. Eine Frage der Veranstaltung wird sein, welche Bedeutung ein christliches Selbstverständnis an Schulen haben kann und welcher praktische Mehrwert für die Schulbildung daraus resultiert. In diesem Kontext fand ich die Frage „Welches Potential steckt in einem christlichen Selbstverständnis?“ angemessen, um den Inhalt der Veranstaltung mit offensichtlich akademischer Zielgruppe werbend zu beschreiben. Nach etwas Gegenwind, da die Frage zu hochgestochen sei und da man ja zweimal darüber nachdenken müsse, haben wir die Frage vom Flyer genommen, um Zeitverschwendung durch unnötige Diskussionen zu vermeiden. Aber warum? Die grammatische Struktur der Frage ist simpel, die Begriffe geläufig. Der Inhalt regt zum Nachdenken an. Letzteres schien wohl das Problem zu sein. Aber warum? #gedankenanstoßen – Das wollen wir hier tun! Nachdenken, also los geht’s!
Wir leben in einer immer säkularer, pluraler und komplexer werdenden Welt. Klarheit, Wahrheit und Wirklichkeit werden immer relativer und trüben ein, vor allem, weil sie fortschreitend individualisiert werden. Das nagt an uns. Weil man sich an nichts mehr festhalten kann, außer an sich selbst und der Blase, die man sich gebaut hat. Seit den 80er Jahren ist Identitätskrise der Dauerzustand. Wir müssen uns immer neu erfinden. Identität ist DIE Frage schlechthin. In christlichen als auch in säkularen Kreisen. Wir ringen um unser Selbstverständnis – Wer bin ich? Und morgen müssen wir uns dasselbe erneut fragen. Das raubt Kraft und die Schreie nach einfachen Lösungen und einfachen Antworten werden lauter. Ein gefundenes Fressen für den Populismus. Aber auch Sätze wie „Hauptsache du bist glücklich!“ offenbaren die Resignation gegenüber den großen Fragen nach Wahrheit und Endgültigkeit. Sind wir so beschäftigt mit unserem ständigen Selbsterfinden, dass zweimal Nachdenken über einen Satz auf einem Flyer schon zweimal Nachdenken zu viel ist? Driften wir weg in eine „4-gewinnt-Kultur“? „Ein gutes Pferd springt nur so hoch, wie es muss“? Ein zweiter Gedanke ist nicht mehr drin? Was trauen wir uns eigentlich noch zu? Ich provoziere, weil ich auf jeden Fall verhindern möchte, dass wir in diese Richtung gehen und lahm, taub und blind werden.
Ich möchte hier kurz ausführen, warum ich glaube, dass ein christliches Selbstbild Potential hat und Antworten in dieser Krise bietet:
- Ein Christ ist im Punkt Identität nicht auf sich selbst zurückgeworfen. Wir müssen uns nicht erfinden, wir sind erfunden. „Fürchte dich nicht, denn ich habe dich erlöst; ich habe dich bei deinem Namen gerufen; du bist mein!“ – mein Konfirmationsvers aus Jesaja 43. Wenn Gott ein Konzern wäre, wäre Erlösung sein Hauptprodukt. Es ist sein Markenzeichen, sein fortwährendes Projekt. Nichts ist identitätsstiftender als ein Name. Ein erlöstes Selbstverständnis schafft Freiräume. Ich muss mich nicht grundsätzlich neu erfinden. Meine Existenzgrundlage bin ich nicht selbst.
- „Macht euch die Erde untertan, geht in die ganze Welt und verkündet der ganzen Schöpfung Gottes gute Nachricht!“ So kann man es in der Bibel lesen. Ein klarer Auftrag! Keine stumpfe Anweisung! Keine einfache Lösung! Die Umsetzung erfordert Hirn und Tatkraft! Und Erlöste sind in der Top-Position, um das Beste daraus zu machen. Wer die Welt verbessern will, springt so hoch er kann und nicht so hoch er muss.
- Wer springt, fällt auch mal hin. Aber das macht nichts! Christliche Hoffnung bedeutet Aufstehen! Gottes Projekt dieser Welt, an dem wir akribisch arbeiten können wird er auch zum Ende bringen. Gott wird einmal alle Tränen abwischen, Leid, Schmerz und Tod werden vergehen und er wird alles neu machen. Ob das Projekt Erde und Menschheit sein Ziel erreichen, hängt nicht an uns. Es wird nicht scheitern! Wir fallen und dann stehen wir wieder auf!
Das ist der Weg. Einen besseren gibt es nicht. Ein christliches Selbstbild hat Potential, weil es einen auf diesem Weg hält. Aber Erlösung ist dabei immer der Startpunkt. Deshalb sind Christen das Licht der Welt! Menschen mit einem christliches Selbstbild haben Potential, die Welt zu verbessern und dabei selbstkritisch und begeistert zu bleiben. Schließlich führt Gott das Projekt zum Ziel. Und er treibt uns auf diesen Weg, nicht wir. Ein Leuchten, eine Stadt auf dem Berg wird nicht übersehen. Würdet ihr einen Eimer auf eine Kerze stellen? Nein, also lasst das Licht leuchten vor den Leuten, damit sie eure guten Taten sehen und euren Vater im Himmel preisen. Niemals sollten wir vergessen, wer uns zum Licht der Welt erklärt und uns diesen Weg gezeigt hat!
Ich will Identitätskrisen meistern und ich werde keine unnötige Energie an ständiges Selbsterfinden vergeuden. Ich denke lieber zweimal nach, als keinmal. Licht zu sein bedeutet Verantwortung in dieser Welt zu übernehmen. Und es fängt im Kleinen an, aber da muss und sollte es nicht bleiben! Große Veränderung und Verbesserung fängt im Kleinen an, aber geschieht im Großen. Wo sind die Leute, die wirklich die Welt verbessern wollen? Wo sind die Leute die Verantwortung übernehmen? Wer wird Bundeskanzler oder Topmanager bei VW? Wer trifft Entscheidungen bei der WHO? Wer wird UNO-Präsident? Wer entdeckt das Heilmittel gegen Krebs? Wer entwickelt den Impfstoff gegen Ebola? Wer reformiert das Bildungssystem? Wer schließt die Schere zwischen arm und reich? Wer verbessert die Welt?
Warum nicht auch du und ich? Wo fangen wir an? Ich weiß, wer ich bin. Ich kenne meinen Auftrag. Ich erkunde und gehe den Weg. Ich stehe auf, wenn ich falle. Und ich denke lieber zweimal nach!
Euer Lukas
Inspiriert durch Matthäus 5, Jesaja 43, Genesis 1, Markus 16 und den ganzen Rest.
Danke an Stefanie Meinel für das Bild
Ein Gedanke zu „Besser zweimal“