„Das mach ich morgen…“

Es ist kurz nach Mitternacht. Ich fahre auf dem Fahrrad von Freunden nach Hause. Die heißen Temperaturen des Tages sind gesunken. Ein angenehm kühler Wind weht durch meine offenen Haare. Ich fahre über eine Brücke. Die Straßenlaternen spiegeln sich im pechschwarzen Fluss. Ruhig liegt er da und nimmt seinen Lauf. Nur wenige Menschen sind unterwegs. Kein Auto in Sicht. Ich fahre in der Mitte der Straße und strecke meine Arme aus. Über mir der Sternenhimmel. So weit und so klar. Die laue Sommernacht verleiht mir ein euphorisierendes Gefühl. Ich fühle ich mich einfach frei. Frei von Sorgen. Frei von Pflichten. Frei von Grenzen. Diese Nacht lädt zum Träumen ein. Ich denke an die Träume, die ich früher hatte. Was ist aus ihnen geworden? Ich denke an die Träume, die ich heute habe. Was wird aus ihnen? Ich sollte endlich mal anfangen, ihnen nachzugehen!
Am besten gleich morgen!

Montagmorgen, 6:35 Uhr. Müde drücke ich die Snooze-Taste meines Weckers. Fünf Minuten später noch einmal. Eine Stunde später fahre ich, mit Blick auf die Uhr, erschrocken hoch und fange an, hektisch zwischen Bad, Küche und Schlafzimmer hin und herzurennen. Eigentlich wollte ich doch noch vor der Uni joggen gehen. Mist. Dann eben morgen…
Beim Hochziehen der Rollos fällt mein Blick auf eine Postkarte, die ich gut sichtbar neben meinem Fenster angebracht habe. Darauf steht:

„Was immer Du tun kannst oder träumst es tun zu können,
fang damit an!
Mut hat Genie, Kraft und Zauber in sich.“

– Goethe –

Ich halte kurz inne. Was ist mit meinen Träumen von letzter Nacht? Heute will ich doch endlich einmal anfangen, einen von ihnen umzusetzen.
Naja, ich hab ja noch Zeit…

Wenig später werfe ich zähneputzend meine Unisachen in den Rucksack, schlüpfe in meine Sneaker und lasse geräuschvoll hinter mir die Haustür ins Schloss fallen. Der Vormittag zieht an mir vorbei. Ich sitze (mehr passiv als aktiv) in zwei Seminaren, bis ich mich zum Mittagessen mit einer Freundin in der Mensa treffe. Danach geht’s ab in die Bibliothek – Hausarbeit schreiben. Mich überkommt das alltägliche „Mittagstief“ und ich beschließe, in der Hoffnung, wieder wacher zu werden, draußen einen Spaziergang zu machen. Ich gehe durch einen kleinen Park. Überall sitzen Student*innen auf dem Gras und genießen das Sommerwetter. Einige kenne ich vom Sehen. Auf einer Bank sitzt eine Frau. Neben ihr steht ein Einkaufswagen, gefüllt mit einem Schlafsack, einer Plastiktüte voller Pfandflaschen, ein paar Lebensmitteln und einem abgewetzten Rucksack, aus dem einige Kleidungsstücke ragen.
Ich denke an einen meiner Träume: Zeit mit Obdachlosen verbringen, um ihnen das Gefühl zu geben, nicht übersehen zu werden.
Das ist die Möglichkeit! Soll ich mich zu ihr setzen?
Doch was sag ich dann? Und was ist, wenn sie einfach nur ihre Ruhe haben will und sich gar nicht mit mir unterhalten mag? Und was würden die anderen im Park über mich denken, wenn ich mich zu ihr setze?
Hmm, eigentlich habe ich gerade gar keine Zeit. Ich muss dringend meine Hausarbeit fertig schreiben.
Aber morgen vielleicht…

Nach einem langen Tag komme ich erschöpft nach Hause. Mal wieder ist es mir nicht gelungen, alle To-Do-Punkte von meiner Liste abzuhaken. Dann eben morgen… Dabei ist auch der nächste Tag schon eng getaktet. Erschöpft lasse ich mich auf mein Bett fallen und schalte mein Handy an. Ich scrolle mich durch die Beiträge meiner Freunde auf Instagram und Facebook. Urlaubsfotos, Abschlussfeiern, Konzerte und Events. Wow, die erleben alle voll die Abenteuer…
YouTube schlägt mir ein neues Video vor. Bewundernd schaue ich mir an, was andere Menschen dort von sich erzählen und zeigen. Wow, die setzen ihre Träume um… Eine Meldung von Pinterest: „Inspiration gefällig? Schau hier.“ Die Verlinkung führt mich zu einer Reihe von neuen DIY-Ideen. Wieder scrolle ich durch die Beiträge. Wow, die machen so krasse Sachen… Ich öffne meine Handynotizen und füge meiner „Was ich gern mal machen möchte…“-Liste zwei weitere Punkte hinzu. Die Liste wird immer länger. Wann setze ich sie mal um? – Heute jedenfalls nicht. Dafür bin ich viel zu geschafft vom Tag!
Aber eines Tages…,
sage ich mir, Morgen vielleicht…

Meine Woche schwindet dahin. Ich komme Terminen, Verpflichtungen und Aufgaben nach, hetze von Ort zu Ort und bin doch überall nicht wirklich da, weil schon gleich die nächste Verabredung ansteht. Abends dann noch Training, Bandprobe, Freunde treffen oder irgendein ach-so-wichtiges Meeting…
Und plötzlich ist schon wieder Wochenende. Wo sind die Tage nur hin? Eben war doch noch Montag…Was ist aus meinen Träumen und Ideen geworden?

Ich würde gern so vieles tun,
meine Liste ist so lang,
aber ich werde eh nie alles schaffen –
also fange ich gar nicht an.
Stattdessen hänge ich planlos vorm Smartphone,
warte bloß auf den nächsten Freitag.
Ach, das mach ich später,
ist die Baseline meines Alltags.


Eines Tages werden wir alt sein. Oh Baby, werden wir alt sein
und an all die Geschichten denken, die wir hätten erzählen können.

– Julia Engelmann –

Sonntagmorgen. Ich sitze in meinem Sessel, den ich würdevoll „Lotus“ getauft habe und schreibe auf, was heute alles ansteht. Erschöpft schaue ich mir die Liste an. Plötzlich überkommt mich ein revolutionärer Gedanke.
Ich zerreiße die Liste, packe binnen weniger Sekunden meine Tasche, schalte mein Handy in den Flugzeugmodus und verlasse das Haus.
Draußen atme ich tief ein. Da spür ich es wieder – dieses euphorisierende Gefühl. Freiheit. Schluss mit „Morgen vielleicht…“!

Dies ist der Tag, den der HERR gemacht hat.
Lasst uns jubeln und fröhlich sein.

– Psalm 118,24 (NL) –

Wovon träumst DU? Was steht auf deiner „Wenn ich mal Zeit habe“-Liste?
Schreib uns das gerne auf WhatsApp, Instagram oder Facebook! Ich freue mich!

Eure Greta,
… die beschlossen hat, diesen Monat einfach mal auf To-Do-Listen zu verzichten.

Ein Gedanke zu „„Das mach ich morgen…“

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