“Mein Diener Mose ist tot. Jetzt mach du dich auf den Weg!”
Nur noch wenige Meter. Ein paar Schritte, dann ist es geschafft. Meine Schuhe reiben heftig an meinen Füßen. Aber was dort schmerzt, tut oben gut. Im Kopf. Ruhe.
Seit einigen Tagen steige ich immer wieder auf diesen Berg. Ich genieße die Aussicht. Ein befreiendes Gefühl raus zu sein aus dem Trubel. Die letzten Tage waren einfach zu viel für mich. Die Ereignisse haben sich überschlagen.
Nach Ewigkeiten der Unsicherheit scheint sich Endlich etwas zu ändern. Die Jahre der Einschränkungen sind vorüber.
Hinter mir die Wüste. Eine Zeit in der wir viel zurückstecken mussten. An der wir aber auch nicht ganz unschuldig waren. Ein ständiges Auf und Ab. Vertrauen und Misstrauen. Unerklärbare Wunder und Tiefe Rückschläge. Mal rannten wir selbstsüchtig durch die Gegend und horteten alles Essbare aus Angst, das Essen könnte nicht reichen. Ein anderes Mal war das Misstrauen in die Führung unseres Volkes so groß, dass wir abstrusen Ideologien nachfolgten und Dinge anbeteten, die keine Macht haben. Doch trotz allem galt weiterhin das große Versprechen. Alles wird gut. Die besten Tage liegen vor uns, nicht hinter uns.
Ja. Hinter mir ist die Wüste. Aber vor mir?
In der Ferne. Am Horizont. Dort wo die Sonne gerade in einen rotgelben Dunst abtaucht, kann ich es erahnen. Ein Ort, der ganz anders ist. Ein Land des Überflusses. Der Ort, der uns schon seit unfassbar langer Zeit versprochen wurde. Der Ort, an dem meine Vorfahren schon gewesen sind und an den wir jetzt endlich wieder zurückkehren können. Viele haben schon den Glauben verloren, dass wir dort jemals hinkommen.
“Ich gebe euch jeden Ort zum Besitz, den ihr mit euren Füßen betretet. So wie ich es Mose versprochen habe”
Vor meinem inneren Auge spielt sich ein Film ab. Von einer Zeit, in der wir uns wieder in die Arme fallen und sagen können: Es ist vorbei! Die ewige Warterei. Die ständigen Irrwege. Ein Ort, an dem wir uns endlich niederlassen können, an dem wir bleiben. Aber ist das wirklich das Ende dieser Wüstenzeit? Jetzt muss ich die Leute anleiten und ihnen sagen, was sie tun sollen. Sie in ein Land führen, in dem uns die Menschen offensichtlich nicht wollen.
“Niemand kann sich dir entgegenstellen, solange du lebst! Ich werde bei dir sein, wie ich bei Mose war.”
So oft habe ich mit Gott gerungen. Scheinbar ohne Erfolg. Er ist doch der Gott, der diesen Planeten geformt hat. Der dafür gesorgt hat, dass Luft durch meine Lunge strömt. Er könnte mit dem kleinen Finger schnipsen und der Sand der Wüste wäre frisches, grünes Gras. Statt der stechenden Sonne käme ein kühlender Sommerregen. Die stacheligen Kakteen wären mächtige Apfelbäume. Stattdessen liefen wir uns täglich blasen in die Füße und von Tag zu Tag brezelte einem die Sonne noch durchdringender auf die Birne.
Konnte Gott damals nicht oder wollte er nicht?
Doch jetzt, auf diesem Berg, mit dem Ziel in Sichtweite kann ich ganz anders auf diese Zeit Schauen. Ja. Gott könnte jede Wüste in einen Urwald verwandeln. Er kann Hunderttausende Menschen an den undankbarsten Orten mit Essen versorgen. Für ihn ist kein Meer zu tief, kein Boden zu Trocken und keine Krankheit zu gefährlich. Ja. Gott kann. Definitiv. Ohne Zweifel. Unzählige Male haben wir das in den letzten Jahren erlebt. Doch er reißt uns nicht raus aus der Wüste und macht auf ein Mal alles gut. Er bei allem dabei. Er nimmt uns an die Hand und begleitet uns durch. Wird er es auch weiterhin tun?
“Sei stark und mutig! Fürchte dich nicht! Denn ich – dein Gott – bin bei allem dabei, was du unternimmst!”