Es ist abends. Halb Zwölf. Meine zwei Mitbewohner und ich sitzen nach einem heißen Sommertag im Garten. Aufbruchstimmung und ein bisschen Melancholie liegen in der Luft. Nach zwei Jahren ist die Zeit in London morgen vorbei. Wir beschließen spontan noch ein letztes Bier in unserem Garten zu genießen.
Während wir so durch die kühle Sommernacht in Richtung Supermarkt schlendern wird mir zum ersten Mal richtig bewusst, wie sehr ich mich schon an die Schnelllebigkeit dieser Stadt gewöhnt habe.
Wenn ich bald wieder in mein kleines Heimatdorf am Fuße des Schwarzwaldes ziehe, kann ich nicht mehr einfach so um Mitternacht zwei Straßen weiter in den nächsten Supermarket stiefeln. Ich habe mich so sehr daran gewöhnt dass ich innerhalb kürzester Zeit theoretisch alles haben könnte.
Jedes nur erdenkliche Produkt könnte ich irgendwo in dieser Stadt – wenn nicht sogar im Outlet um die Ecke – auftreiben. Ansonsten bringt es Amazon innerhalb von Stunden. Spätestens am nächsten Tag.
Sightseeing, Weltklasse-Fußball, joggen im Wald, Konzerte deiner Lieblingsband, … You Name it! Alles um die Ecke. Schnell erreichbar.
Mittlerweile stehen wir an der Supermarktkasse – die drei Flaschen in der Hand. Warten. Die Bezahl-Automaten sind defekt. Warten. Dieser Zustand. Kenne ich den überhaupt noch?
Als Schüler habe ich an der Bushaltestelle oft bis zu einer halben Stunde gewartet. Klar. Es kam ja auch nur jede Stunde ein Bus. Aber Heute?
Hier in London kann ich davon ausgehen dass mich in maximal fünf Minuten ein Bus abholt, der mich in die richtige Richtung bringt. Oft auch nachts. Warten. Kann ich das überhaupt noch? Warten. Habe ich das verlernt?
In unserer Gesellschaft wird immer alles schneller. Prozesse optimieren. Zeit verkürzen. Effizienz steigern. Bloß nicht warten! Warum lange in der Küche stehen und Kochen, wenn die Mikrowelle das in 4 Minuten kann? Warum lange Fahrrad fahren, wenn es mit dem Auto doppelt so schnell geht? Warum persönlich reden, wenn ich mit WhatsApp meine Emojis in Sekundenschnelle um den Globus schießen kann? Warum lange nach neuen Songs suchen, wenn Spotify schon das richtige Lied für mich gefunden hat? Ich glaube das Prinzip wird klar. Warten wird immer mehr ein No-Go.
Das wirkt sich auch auf mein Leben aus. Wo es früher kein Problem war, geduldig zu warten, rege ich mich heute auf, dass mein Amazon Paket ein Tag später ankommt oder der Burger bei McDonalds doppelt so lange braucht als sonst.
Als Kind musste ich viel warten. Mein größter Wunsch damals: Eine Kamera. »Eine richtig echte!« Meine Eltern meinten darauf bloß: »Warte noch ein bisschen! Das kannst du dir doch noch zum Geburtstag wünschen.« Das konnte ich erst nicht verstehen. Voller Vorfreude zählte ich dann aber die Tage bis zu meinen Geburtstag. Monate später: Der 14. September. Die Spannung: Riesig! Als ich ein kleines Geschenk aufmachte, schaute mich eine gelbe Schachtel an. Aufschrift: KODAK. Ein 36mm Film mit Platz für 32 Bilder. Und die Freude war trotzdem groß! Es war zwar noch keine Kamera, aber ein Film. Ein Film, den ich nach Belieben mit der Kamera meiner Eltern voll machen durfte. Ich wusste, dass es nicht Selbstverständlich ist eine Kamera geschenkt zu bekommen und freute mich deshalb auch über das Kleine.
Vielleicht sollte ich genau das wieder lernen. Geduld. Das ist jetzt einfach gesagt. Aber es kann sau schwer sein. Das könnte das warten auf die perfekte Frau sein. Oder warten auf Heilung einer schlimmen Krankheit. In solchen Situationen ist es nicht so einfach immer das Positive zu sehen: Das, was Gott einem jeden Tag schenkt.
Auf dem Weg nach Hause kommen wir an eine Ampel. Anstatt zu warten, dass sie grün wird, überqueren wir die Straße einfach so. Macht doch sowieso jeder.
Wir leben in einer Gesellschaft in der das Warten immer mehr zur Ausnahme wird. Ergebnis: Ungeduld.
Warum erhört Gott mein Gebet einfach nicht? Warum soll ich so lange warten? Hat warten nicht auch was etwas Positives? Wo sollte ich in meinem Alltag mal einen Gang zurückschalten? Warten. Auf Gott warten, bevor ich selber voreilig irgendetwas starte. Wertschätzen, was ich jetzt schon habe, statt sich über das zu ärgern, was ich noch nicht habe?
»Seid fröhlich in Hoffnung, geduldig in Trübsal, beharrlich im Gebet.«
Römer 12, 12
Photo Credits: Philipp Jenny
Autor: Philipp Jenny
Ein Gedanke zu „Einen Gang zurückschalten?“