„Sie war’s, sie war’s … er war’s, er war’s!“ Dem ein oder anderen kommt dieses Zitat aus „Das Leben des Brian“ von Monty Python vielleicht bekannt vor. Eine skurrile Situation! Nachdem Brian und seine Mutter sich am Straßenstand mit aerodynamischen und gut in der Hand liegenden Steinen ausgerüstet haben, gehen sie zur Steinigung des Gotteslästerers. Nur Männer sind zugelassen – nur Frauen sind da, und eben Brian. So kommt es zu einer bitter komischen Situation. Jeder schiebt jedem die Schuld in die Schuhe, niemand ist wirklich informiert, alle verlieren den Überblick. Darum geht es auch nicht. Hauptsache Steine werfen!
Als der Film 1979 an die Öffentlichkeit kam, entzündete er eine längst fällige Debatte um künstlerische Meinungsfreiheit und Religionstoleranz. Mittlerweile haben sich die Wogen geglättet und dennoch stößt der Film immer noch vielen Juden und Christen übel auf. Man muss sich entscheiden: lachen oder Steine werfen! Und dann wird der Film, ehe man sich versieht, Realität. Die einen sitzen da, den bitteren Kontext der Steinigung ausgeblendet, und lachen über die Situationskomik – die haben’s irgendwie noch nicht gecheckt. Die anderen sind entrüstet: „Wie kann man nur…“ In 30 Sekunden hat man sich eine Meinung gebildet, Argumente zurechtgelegt, Steine gekauft und dann wird kräftig losgeschmissen. Fiktion wird Realität – und keiner hat es mitbekommen. Wenn man diese Steinigungsszene sieht, kann man sich nur falsch verhalten. Das ist mal gelungene Satire!
Die Filmszene hat auch 40 Jahre später ihre Aktualität nicht verloren. Keine Ahnung haben, aber die Taschen voller Steine! Ich fühle mich ertappt, du auch? Wir sind ganz groß, wenn es darum geht, andere abzuurteilen, die Schuld von uns zu weisen, mit dem Finger auf andere zu zeigen. „Sie war’s, sie war’s … er war’s, er war’s!“
Ich war am Wochenende auf einem Kongress. 3000 Leute, die Leitungsverantwortung in Kirchengemeinden haben. Die fromme High-Society – mit den Taschen voll Steinen. Es gab ein riesen Angebot, um neue Inspiration und Motivation zu bekommen. Alles in allem fand ich es richtig gut und so ziemlich alle anderen auch, glaube ich. Aber zwischendurch fliegen immer ein paar Steine, obwohl man insgesamt eher positiv gestimmt ist, sonst werden die Taschen wohl zu schwer. „Was der da vorne eben erzählt hat, kannst du vergessen!“ „Wenn man schon vorne auf der großen Bühne steht und singt, sollte man wenigstens den Text können!“ Und wenn man gerade kein aktuelles Ziel hat, greift man auf die Klassiker zurück, je nach Lebensumfeld. Bei mir gerne getroffene Ziele: die Politik, das Gesundheitssystem, der Zeitgeist usw.
Das war jetzt sehr zynisch. Ich muss mir da auch an die eigene Nase fassen. Ich mache ja oft genug mit. Das ist auch eine Form von Lästern. Vielleicht etwas anders als der herablassende Kommentar über das Outfit des Sitznachbarn. Es geht um das Herziehen über Menschen, die Verantwortung tragen, die auf der großen Bühne stehen, die den Kopf hinhalten. Gerade gegen die Politik wettern wir gerne. Da ist es besonders leicht. Die Missstände sind offensichtlich und die Mühlen der Veränderung mahlen entsetzlich langsam. Und es stimmt ja auch, wenn man z.B. Gesundheitsminister ist, hat man den Job, diese Missstände zu beseitigen. Aber was ist das für eine Mammutaufgabe?! Und wie hoch unsere Erwartungen sind! Und wie schlecht wir informiert sind! Aber trotzdem bilden wir uns nach einem zweiminütigen Bericht in der Tagesschau eine Meinung, und dann urteilen wir die großen Fische ab, zeigen mit dem Finger drauf, lassen den Steinhagel regnen. Versteht mich nicht falsch, manche Kritik ist sicher berechtigt, aber viel öfter nehmen wir den Hammer, ziehen uns die große Robe an und setzen uns ganz oben auf den Richterstuhl. Dabei haben wir die Gesamtsituation nicht im Blick, die zu der einen oder anderen Entscheidung geführt hat. Wir sind schlicht schlecht informiert!
Wie informiert man sich aber richtig? Wir leben im Zeitalter der alternativen Fakten, der konstruierten Wirklichkeiten. Ein Beispiel – Was hast du für ein Bild von Trump oder Putin? Das kommt darauf an, welche Nachrichtensender du schaust. Den russischen, den amerikanischen, den deutschen? Oder vielleicht den nordkoreanischen, oder den israelischen, oder den iranischen? Warum sollten die Nachrichten, die du schaust, die Wahrheit am besten abbilden? Das ist nicht so leicht! Und der Ottonormalverbraucher hat bei seiner Meinungsbildung nicht die Kapazität, sich differenziert genug zu informieren.
Es geht hier auch um Macht. Urteile sprechen bedeutet Macht auszuüben. Und in Anbetracht der prekären Informationskapazitäten entsteht Orientierungslosigkeit und das führt, wenn auch unbewusst, zu Machtlosigkeit, zu schweren Steinen in den Taschen. Müssen wir manchmal einfach auf den Richterstuhl klettern, Steine werfen, um uns die Stabilität und Orientierung vorzugaukeln, die wir längst verlieren? Oder suchen wir uns lieber Sündenböcke, auf die wir zeigen können, damit wir uns nicht schmerzlich selbst zur Richtbank bitten müssen? Oder sind wir einfach erschlagen und resignieren, weil die Probleme zu kompliziert sind und wir viel zu klein und schwach, um sie zu beheben?
„Mach den Mund auf!“ Das ist Philipps Appell der letzten Woche. Ja, lasst uns das wirklich machen. Für die Schwachen, für die Ungehörten, Ungesehenen, für Gerechtigkeit und Frieden. Aber lasst uns auch zurückhaltender werden mit unseren Urteilen, gerade gegenüber den Personen, die viel Verantwortung tragen. Oder, um mit den liebenswerten Worten meiner ehemaligen Biolehrerin zu sprechen: „Wenn man keine Ahnung hat, einfach mal die Fresse halten!“
Euer Lukas
Danke an Kristina Flour für das Beitragsbild auf unsplash.com!