Repost: Er ist weg!

Über die Ostertage haben wir ein kleines Special geplant. Wir wollen die Story aus der Sicht verschiedener beteiligter Personen erzählen. Zum ersten Mal auch zum Anhören:

„Petrus! Petrus!“ Das kann doch nicht wahr sein! Warum macht er nicht auf? „Petrus! Bitte! Mach auf. Es ist wichtig!“ In meinem Kopf ist ein riesiges, emotionales Durcheinander. Und jetzt auch noch das.

„Petrus!“ Wenn man ihn einmal braucht, ist er natürlich nicht da. Sicher schläft er noch. Ist ja auch noch extrem früh. Kann ich verstehen. Nach all dem, was die letzten Tage passiert ist.

Und das alles vor dem Ruhetag. Dem Sabbat. Es ist ja schon schlimm genug, zu wissen, was alles passiert ist. Aber wenn man sich nicht einmal mit Arbeit von den Geschehnissen ablenken kann, ist das grausam. Gestern verging keine Sekunde, in der ich nicht daran denken musste. Diese Bilder, die sich tief in mein Gehirn geklettet haben. Ihn zu sehen, wie er von einer Meute Menschen angepöbelt und beschimpft wurde. Diese Machtlosigkeit. Diese Hilflosigkeit. Geschubst, ausgepeitscht, geschlagen, angespuckt, getreten und gekreuzigt. Dieses Leid. Wie er da hing. Um Luft rang. Zu Gott schrie. Das Erdbeben. Die Sonnenfinsternis. So viel ist passiert. Diese Bilder werde ich nie vergessen. Sie sind wie ein Finger, der immer wieder tief in eine klaffende Wunde gedrückt wird. Etwas, das einen immer wieder daran erinnert. Es tut weh. Schrecklich weh.
Und jetzt auch noch das.

„Petrus!“ Es rumpelt hinter der Tür. Ich höre wie Gegenstände weggerückt werden. Es scheppert. Ein kurzes Schnappen – der Riegel wird hochgezogen. Die Tür öffnet sich. Petrus kommt zum Vorschein. Er sieht müde aus. Sein Gesicht ist gezeichnet von zwei schlaflosen Nächten. Schlaftrunken kratzt er sich am Kopf. Mit seinem Arm stützt er sich am Türrahmen ab. Man merkt, wie er sich größte Mühe gibt, seine Augen offenzuhalten. „Maria, was gibt’s?“ Meine Stimme bricht. Ich zittere. „Er ist weg!“, flüstere ich heiser. „Wie bitte!?“
„Der Stein. Er ist weg. Das Grab ist leer. Keine Spur von den Soldaten. Sie haben ihn gestohlen!“
Petrus fängt an zu schwitzen. Fasst sich an die Stirn. Verzweiflung ist ihm ins Gesicht geschrieben. „Das kann nicht sein. Das kann nicht sein.“ Ohne sich überhaupt Schuhe anzuziehen, rennt er los. Er lässt alles liegen. Die Tür bleibt offen. Ich höre noch eine Weile seine Schritte. Dann ist alles still. Totenstill.

Schon stehe ich wieder alleine da. Erneut schießen mir die Tränen in die Augen. Mit einer kurzen Handbewegung wische ich sie mir aus dem Gesicht.
Der Schreck sitzt mir immer noch in den Gliedern. Als ich heute Morgen aufstand, habe ich mir noch Sorgen gemacht, wie ich wohl die römischen Wachmänner davon überzeugen kann, dass ich nochmal zu Jesus darf. Den gesamten Weg habe ich nachgedacht, wie ich den großen, schweren Stein vom Eingang weg bekomme. Und dann das: Keine Wachen. Der Stein weggerollt. Im Grab lagen nur noch die fein säuberlich zusammengelegten Leinentücher. Wie konnte das passieren. Haben die Römer tatsächlich am Heiligen Sabbat das Grab leer geräumt? Oder waren es doch irgendwelche Leute, die im Auftrag der Pharisäer schmutzige Geschäfte machen? Ich kann mir da einfach keinen Reim draus machen. Wie kann man einen Toten, der sich nicht mehr wehren kann, so etwas antun?

Ohne nachzudenken, fange ich an zu laufen. Ich bin gedanklich in einem Tunnel. Automatisch laufe ich durch die engen Gassen. Um mich herum wacht die Stadt langsam auf. Die ersten Sonnenstrahlen tauchen die Stadt in ein goldenes Licht. Es ist ruhig und friedlich. Ein riesiger Kontrast zu meiner eigentlichen Stimmung. Hastig steuere ich die Grabanlagen an. Als ich ankomme, sehe nur noch wie Petrus und Johannes mit offenen Mündern aus dem Grab heraus stolpern. Ohne auch nur ein Wort zu wechseln, rennen sie an mir vorbei.
Das ist mir alles zu viel. Es geht nicht mehr. Die Tränen, die sich in den letzten Tagen angesammelt haben, sind nicht mehr aufzuhalten. Ich sacke in mich zusammen. Meine Augen gleichen einem Wasserfall. Es ist endgültig vorbei. Nicht einmal die Toten lassen sie in Ruhe. Den Römern ist echt nichts heilig.

Langsam taste ich mich Richtung Grab. Jesus hat sich echt merkwürdig verhalten in letzter Zeit. Immer wieder die Rede davon, dass er sterben muss. Ich habe mir zwar Sorgen gemacht, aber woher soll ich wissen, dass es so schnell geht? Er hat doch behauptet, dass er der „Menschensohn“ ist. Der, den Daniel schon in den alten Schriften angekündigt hat. Der, der Israel retten soll. Doch jetzt ist er tot. War er doch nur ein Schwätzer?

Er war doch so anders. Er war etwas Besonderes. Etwas an ihm hat mir gezeigt, dass er es wirklich ist. Als ich ihn zum ersten Mal getroffen habe, war ich ein Monster. Niemand konnte sich mir nähern, ohne in irgendeiner Form angegriffen zu werden. Das Böse in Person. Doch Jesus ist trotzdem zu mir gekommen. Seit ich ihn kenne, bin ich ein komplett anderer Mensch geworden. Aber was bleibt jetzt davon? Jesus ist tot.

Während mein Blick über die Stelle gleitet, an der Jesus gestern noch lag, merke ich erst, dass ich gar nicht alleine bin. Ich schrecke zusammen. Vor mir sitzen zwei Männer. Sie sind strahlend weiß angezogen. Irgendwie unwirklich. Unheimlich. Auf einmal spricht mich der eine sogar an: „Warum weinst du?“ Ja ja. Schöne Begrüßung. Danke. „Warum sitzt ihr überhaupt in einem Grab herum?“, will ich gerade fragen. Doch mit einem Mal sprudelt es aus mir heraus: „Sie haben meinen Herrn weggenommen. Der Mann, der hier eigentlich begraben war, ist gestohlen worden! Ich habe keine Ahnung, wo sie ihn hingebracht haben!“ Erneut überkommt mich ein Wasserfall an Tränen. Ist das peinlich. Bloß weg hier. Ich drehe mich um, will gerade losrennen, da merke ich, dass mir jemand im Weg steht. „Warum weinst du?“ Was will der denn jetzt auch noch? Das hier ist ein Friedhof! Ist es nicht normal, dass man an einem Grab weint? Warum stellen mir denn alle so merkwürdige Fragen? Ich will doch einfach nur alleine sein. Ich versuche zu erkennen, wer das ist, doch sehe nur verschwommen. Das muss der Gärtner sein! Er weiß vielleicht, was passiert ist. „Wenn du ihn weggenommen hast, dann sag mir doch wenigstens, wo du ihn hingebracht hast!“ Oh. Das war jetzt vielleicht ein klein wenig pampig. „Maria!“ Warte mal. Ist das nicht…? Nein. Das kann nicht sein. Er ist doch tot! Ich wische mir nochmal meine tränenden, schmerzenden Augen. Er ist es wirklich! Wie kann das sein? „Jesus! Ich dachte, du bist tot!“ Ich kann nicht anders. Ich falle ihm um den Hals. Schluchze! Es muss alles raus. Doch er drückt mich weg. Fragend starre ich ihn an. „Maria, halte mich nicht fest. Ich werde bald zu meinem Vater zurückgehen. Sag’ lieber allen Bescheid, dass ich lebe!“

Überwältigt und völlig perplex laufe ich los. Er lebt. Die rätselhaften Reden der letzten Tage ergeben tatsächlich einen Sinn. Jesus lebt. Es ist doch nicht vorbei. Der Tod ist kein Hindernis für ihn. Er ist auferstanden!


Inspiriert durch das Johannesevangelium (Kapitel 20).

Bild: Mads Rasmussen
Text: Philipp Jenny
Gelesen von: Anne Jenny

Kommentar verfassen