
Doro. 22. Studentin der Wirtschaftsinformatik. Ist immer sehr neugierig. Liebt es Dinge auszuprobieren und zu hinterfragen. Ist Gott sehr dankbar für die Erfindung von Kaffee und Schokolade. Wurde durch die Beiträge „Gedankenreise“ und „Die Kunst des Erwartens“ zu ihrem Text inspiriert.
Ja, Erwartungen an andere habe ich viele. Da kann ich mich nur zu gut hineinversetzen. Aber während ich noch ein wenig darüber nachgrüble, fällt mir auf, dass ich noch viel mehr Erwartungen an mich selbst habe.
Wir werden überall und tagtäglich mit dem Idealbild unserer Gesellschaft konfrontiert. Gerade auch durch Werbung und Entertainment – ob du es willst oder nicht – es gibt keinen Weg daran vorbei. Habe immer das neuste Handy, sei immer modisch angezogen, sei erfolgreich, bei allen beliebt und habe dich ja selbstverwirklicht. Niedergeschlagene, frustrierte, unglückliche, unattraktive oder unzufriedene Menschen sind laut diesem Weltbild unerfolgreiche Menschen und Erfolg ist doch das Vergleichsmaß der heutigen Gesellschaft schlechthin.
Aber nicht nur unbewusst wird uns ein Ideal vermittelt. Auch in der Schule, Uni oder bei der Arbeit streben wir dieses gewisse Ideal an, um bei anderen Schülern/ Studierenden/ Kollegen gut anzukommen.
So schaue ich bewundernd zu den Besten und Beliebtesten auf und wäre irgendwo tief in mir, auch gerne wie sie. Ich habe auch das Gefühl, dass meine Gemeinde und das christliche Umfeld, in dem ich mich bewege, Ansprüche an mich stellen: Nimmst du dir bewusst Zeit für deine persönliche Beziehung zu Gott? Stellst du Gott immer an die erste Stelle in deinem Leben? Fragst du ihn in allen Lebenslagen nach seinem Willen? Bist du Gott gegenüber immer gehorsam? Merkst du wie der Druck steigt?
Nach und nach bauen sich die Anforderungen auf. Anforderungen, die sich durch den Vergleich mit anderen Menschen sowie auch mit dem Idealbild der Gesellschaft nach und nach in Erwartungen an einen selbst umwandeln. Weniger als Hoffnungen und mehr als Ansprüche. Niemand erwartet von mir der perfekte Mensch oder der perfekte Christ zu sein und doch habe ich sooft das Gefühl, mein Bestes reicht nicht aus. Doch habe ich überhaupt mein Bestes gegeben? Sind die anderen nicht eh alle besser? Kann ich überhaupt mit ihnen mithalten? Und sind es überhaupt wirklich die Erwartungen der anderen an mich oder nicht doch viel mehr meine eigenen Erwartungen?
Früher oder später bauen sich dann unvermeidlich die nächsten Gefühle auf: Selbstzweifel und Niedergeschlagenheit. Wieder habe ich es nicht geschafft, meine eigenen Erwartungen zu erfüllen. Wieder zeigt sich, welch ein/e Versager/in ich bin, wie mangelhaft mein Können und wie unbeständig meine Selbstdisziplin ist. Die Enttäuschung über mich selbst ist groß. Schließlich gehe ich Dinge allein aus Angst vor der Enttäuschung gar nicht mehr an.
Das Wort „Enttäuschung“ ist so gut wie immer negativ besetzt. Ich verbinde damit nur Frustration und schlechte Erfahrungen. Eben wegen nicht eingehaltener Erwartungen. Wie auch bei dem Wort „Er-warten“, kann man das Wort Enttäuschung sehr gut auseinandernehmen. Man erhält „Ent-“ und „Täuschung“. Im wörtlichen Sinne also eigentlich die Befreiung von Täuschung.
Inzwischen glaube ich, dass eine Enttäuschung auch etwas Gutes ist. Ich stelle fest, dass ich mich getäuscht habe – in anderen oder eben in mir selbst. Streng genommen ist die Enttäuschung der einzige Weg von der Täuschung zur Wahrheit. Sie zwingt mich auf den Boden der Tatsachen und konfrontiert mich mit der Realität. Mit meinem unvollkommenen Ich. Und das tut weh.
Aber habe ich den ersten Schock der Enttäuschung überwunden, sehe ich die Welt ein Stück klarer. Ich lerne mich und meine Schwächen besser kennen. Ich glaube, dass jede Enttäuschung auch das Potenzial zur Selbstannahme bereithält. Durch Enttäuschungen begreife ich, was mir schwerfällt. Wenn ich das verstanden habe, erwarte ich keine vollkommene Leistung mehr von mir, sondern bin gnädig mit mir. Meine Ansprüche und Erwartungen an mich distanzieren sich von dem Idealbild der Gesellschaft und werden deutlich realistischer. Ich kann meine Schwächen aktiv angehen und statt Perfektion vorauszusetzen und enttäuscht zu werden, kann ich mich auf Erfolge fokussieren und mich daran freuen. Erwartungen und Enttäuschungen liegen nah beieinander. Aber keines von beiden muss etwas Negatives sein.
Was du daraus machst, entscheidest du selbst. Ich hoffe aber, dir ein wenig den bitteren Beigeschmack einer Enttäuschung genommen und sie dir gleichzeitig ein wenig schmackhafter gemacht zu haben.
Danke an Nigel Tadyanehondo für das Foto auf Unsplash.
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2 Gedanken zu „Erwartungen und Enttäuschungen (oder warum Enttäuschungen etwas Gutes sind)“