Mit dem Ende der Schulzeit und dem Beginn des Erwachsenwerdens (ein Prozess, der wohl bis an das Lebensende eines Menschen nie ganz abgeschlossen sein dürfte) schlich sich immer öfter eine Frage in meinen Kopf hinein. Sie war auf einmal da. Aus dem Nichts. So selbstverständlich und von allein, als wäre sie schon immer da gewesen. Langsam nistete sie sich in meinem Gehirn ein, machte es sich gemütlich, bis sie plötzlich vor meinem inneren Auge aufblitzte. Eine Frage, die sinnbildlich für unsere individualisierte Gesellschaft steht. In der der Drang zur Selbstverwirklichung wie in keiner vergleichbaren Phrase angelegt ist. Gleichzeitig bringt sie den jugendlichen Übermut, dass die Welt einem nach der Volljährigkeit offen steht, zum Ausdruck. Ich begann mich zu fragen: Was will ich im Leben erreichen?
Ich war schon immer ein Typ des Fragens. Sei es anderen Fragen zu stellen, etwas zu hinterfragen oder sich irgendwo durchzufragen. „Wer nicht fragt, bleibt dumm“, lehrt uns schon die Sesamstraße. Fragen ist das erste und einzige Allerheilmittel gegen jegliche Unwissenheit. Sich zu verhalten, als wüsste man über etwas Bescheid, ohne es wirklich zu tun, lässt einen selbst letztendlich dumm dastehen. Seine Unkenntnis zuzugeben und anschließend sein Wissen durch Fragen zu erweitern, offenbart Demut und Größe. Fragen sind ein wichtiges Mittel, um an Informationen zu gelangen. Man stellt sie mit einem bestimmten Ziel, um etwas herauszubekommen.
So habe ich angefangen, diese Frage vermehrt anderen Menschen zu stellen – meist in melancholischen Lagerfeuermomenten (kleiner Tipp für Nachahmer: das Setting muss passen). Sorgte sie anfangs weitestgehend zur Belustigung, da meist niemand einschätzen konnte, ob sie denn jetzt nun eigentlich ernst gemeint war oder nicht (ein alter Trick, irgendwo zwischen Sarkasmus und Ironie, der es dem Fragesteller ermöglicht – sollte er bemerken, dass er mit seiner Frage nicht ernst genommen wird – sich elegant mit einem Witz – „Das war nur Spaß“ – aus der Affäre zu ziehen), so meinte ich sie doch stets ernst. Das tolle am Fragen stellen ist nämlich, dass man selbst nicht zuerst oder auch gar nicht antworten muss, da man ja die Frage gestellt hat. Beherrscht das Gegenüber nicht das dreiste Mittel der Gegenfrage, folgt meistens eine Antwort. Kleiner Exkurs: wer eine Geisteswissenschaft studiert, um dadurch Antworten auf die großen Fragen des Lebens zu bekommen, dem muss ich diese Illusion leider nehmen. Wie ich in meinem bisherigen Geschichtsstudium lernte, geht es nicht darum Antworten zu finden, sondern neue Fragestellungen zu entwickeln. Das mag jetzt etwas zynisch klingen, aber ganz unbegründet ist diese Beobachtung nicht.
So war diese Frage also stets ernst gemeint, sodass sich gelegentlich einige Angesprochene dazu hinreißen ließen, Antworten zu formulieren. Antworten, die von beruflichen, familiären und privaten Wünschen geprägt waren und mich selten zufrieden stellten.
Da ich diese Frage mittlerweile in vielen Runden gestellt habe und mir selbst viele Gedanken dazu gemacht habe, bin ich zu dem Schluss gekommen, dass das möglicherweise an der Frage liegt. Sie ist wie ein zweischneidiges Schwert: Einerseits super, weil sie den Blick in die Zukunft richtet und darauf abzielt, mit seinem Leben etwas Sinnvolles anzustellen. Andererseits stört mich ihre gnadenlose Ich-Zentriertheit. Was will ich erreichen, klingt nach Einzelkämpfermodus. Scheuklappen hoch und durchboxen. Sie impliziert, dass es nur um mich geht und dass ich möglichst effizient, effektiv und gnadenlos meine Ziele erreichen muss.
Den Grundgedanken, mit dem mir anvertrauten Kapital, etwas Sinnvolles und Nützliches anzufangen, finde ich gut. Einen Fokus im Leben zu haben ist ebenfalls sehr sinnvoll und hilfreich. Leider führt das manchmal dazu, dass man krampfhaft versucht, Ziele zu erreichen und dabei jegliche Prioritäten verwirft und alles seinem eigenen Ziel unterordnet. Manche Leute nennen das workaholic. Ein busy Lifestyle, der anderen suggerieren soll, wie wichtig man ist.
Leider vergisst man dabei oft, sich Pausen zu nehmen. Durchzuschnaufen. Vielleicht kennst du das Beispiel von dem Holzfäller, den es unheimlich viel Anstrengung kostet, einen Baum zu fällen, weil er sich keine Zeit dazu nimmt, seine Axt zu schärfen. Wenn man sich die Frage (was will ich im Leben erreichen) nach dem Ziel stellt, kann es schnell passieren, dass man den Blick für wesentliche Dinge verliert.
Ich schreibe diesen Beitrag gerade während zwei Wochen, die ungewöhnlich eng getaktet waren (meistens bilde ich mir ein, das ziemlich gut im Griff zu haben). Doch diesmal habe ich – was ich erst im Nachhinein festgestellt habe – für zu viel zugesagt, was mich dann letztendlich in der Realität einholte. In dieser Zeit wurde ich immer wieder dazu angetrieben, alles für meine beruflichen Ziele zu investieren. Jeder freie Minute musste sinnvoll genutzt werden. Dass dabei keine Zeit mehr für Dinge, die mir sonst wichtig sind, übrig bleibt, war abzusehen. Ich kam zu dem Schluss, dass es nicht darum geht, was ich erreichen will und alles meinen Zielen unterzuordnen. Stattdessen will ich wieder häufiger Gott fragen, was er mit meinem Leben erreichen will. Da ist er wieder, der allgegenwärtige Grundkonflikt zwischen meinem Ego und Gottes Willen. Doch dazu bei Gelegenheit mehr. Und die oben genannte Frage will ich fortan nicht mehr stellen. Stattdessen werde mir wohl eine andere einfallen lassen, die ich für einen würdigen Nachfolger halte.
by spaghettihirn
Danke an Luke Ellis-Craven für das Foto auf Unsplash.