Höhenflüge

Es ist Mittag. Die Sonne hat ihren höchsten Stand erreicht. Sie brennt gnadenlos auf den Wüstensand. Der Himmel ist komplett blau. Nur ganz weit entfernt sieht man dunkle Wolken. Dort scheint es zu regnen. Aber hier spürt man davon nichts. Hier ist alles trocken. Risse im Boden zeigen, dass es schon lange nicht mehr geregnet hat. Alles, was hier vor der stechenden Sonne schützt, ist ein kleiner Busch. Der einzige weit und breit. Wenigstens etwas. Ich setze mich in den Schatten. Das tut gut. Mein Hals ist ausgetrocknet. Meine Beine müde. Meine Klamotten sind klatschnass. Alles voll geschwitzt. Ob ich jemals so schnell gerannt bin? Ich keuche. Der Puls ist hoch. An den Füßen häufen sich die Blasen. Alles tut weh. Es reicht! Ich will nicht mehr.

Wie konnte das alles so schnell gehen? Wie bin ich so tief gesunken? Gestern war alles perfekt. Ich hatte es geschafft. Auf dem Gipfel des Triumphs habe ich meine Fahne geschwenkt! Der finale Showdown. Das entscheidende Match habe ich gewonnen. Es war so, als hätte ich das Triple geschafft. Bundesliga. DFB Pokal. Champions League. Alles an einem Tag. Ich hatte alles erreicht, was ich mir jemals erträumt habe. Ich habe es allen gezeigt. Ich bin doch nicht der Weirdo, der Einzelgänger. Alle haben zu mir aufgeschaut.
Unglücksbringer. So haben sie mich damals genannt. Alle hatten Freunde. Haben ihre Partys gefeiert. Das Leben genossen. Nur ich nicht. Ich gehörte nicht dazu. Ich war alleine. Alle waren gegen mich. Aber gestern war alles anders. Der Wendepunkt in meinem Leben. Nie wieder würde sich irgendjemand trauen, etwas gegen mich zu sagen. Nie wieder diese ätzenden Kommentare, Sticheleien. Nie wieder Angst haben. Nie wieder verstecken. Doch dann kam er: der Shitstorm.

Wie konnte ich nach so einem Höhenflug wieder so tief fallen? Der einzige, der damals zu mir gehalten hat, ist auch weg. Er hatte immer eine gute Idee parat. Ist er jetzt auch gegen mich? Ich versuche, ihn zu erreichen. Ignoriert er mich? Ein letzter Versuch. Zwei Worte: ”Es reicht!”

Frei übertragen ist das eine Story von Elia, wie sie in 1. Könige, Kapitel 19 steht. Elia war ein Prophet, der sehr viel mit Gott erlebt hat. Er hat die krassesten Wunder gesehen. Wenn ich mir anschaue, was er alles getan hat, würde ich ihn in die Kategorie „Überflieger“ einordnen. Aber trotzdem sitzt er auf einmal da und ist völlig am Ende. Obwohl er doch wissen sollte, dass Gott ihn da rausholen kann. Wie kann das sein?
Oft geht es mir genauso wie Elia. Immer dann, wenn es mir richtig gut geht, ich auf einem Höhenflug bin, ist auch der freie Fall nicht mehr weit entfernt.
Wie an einem Sonntagmorgen vor einem halben Jahr: Blauer Himmel. Vor mir liegt ein entspannter Tag. Erst Gottesdienst, dann nachmittags an die Themse liegen und die Sonne genießen. Gemütliches Frühstück. Kaffee. Bacon. Ei. Toast. Was will man mehr?
Ich stehe gerade voll im Saft. Bei der Arbeit läuft es wie geschmiert. Auch sonst geht es mir einfach gut. Ich steige auf mein Fahrrad. Auf gehts. In den Gottesdienst. Eine angenehme Briese pustet um die Nase. Doch dann: ZACK! Von einem Moment auf den anderen. Von einer Sekunde auf die andere. Einmal nicht aufgepasst. Schon liege ich auf einer Motorhaube. Meine Schulter in einer Windschutzscheibe vergraben. Das Fahrrad, liegt irgendwo unterm Auto. Eben noch ein Höhenflug. Jetzt im freien Fall.
Diskussionen mit dem Autofahrer. Stress mit der Versicherung. Fahrrad im Eimer. Von Arzt zu Arzt rennen. Warum muss das denn jetzt auf einmal sein?

An guten Tagen merke ich oft gar nicht, wie sehr ich Gott brauche. Ich lebe so vor mich hin. Denke, dass ich schon alles selbst hinkriege. Erst, wenn auf einmal alles bergab geht. Erst wenn etwas Schlimmeres passiert, schreie ich zu ihm und frage mich, wo er ist. Schon paradox.
Braucht es wirklich diese Tiefen, um zu begreifen, dass ich ohne Gott verloren bin?
Muss es wirklich mal krachen, damit ich merke, wie klein ich eigentlich bin?
Muss ich echt erstmal auf die Schnauze fliegen, um zu sehen, dass ich Gott brauche?

Wie sehr frage ich nach Gott, wenn es mir gut geht?
Wie sehr frage ich nach Gott, wenn es mir schlecht geht?


Photo Credits & Author: Philipp Jenny

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