Ich sitze mit 89.000 anderen Menschen im Stadion. Alle sind aus demselben Grund hier. Alle wollen ein spannendes Match sehen. Guten Fußball. Viele Tore. Das verbindet. Doch durch das Stadion geht ein Riss. Der Unterschied ist klar erkennbar. Zwei Gruppen. Zwei unterschiedliche Motivationen. Die einen Rot. Die anderen Weiß.
Alles ist friedlich. Alle sitzen glücklich beieinander. In Ruhe mampfen meine Sitznachbarn Pommes. Zwei Jungs, eine Reihe hinter mir, wehen hüpfend ihre Fähnchen. Das Spiel plätschert so vor sich hin. Bis die Gegner ein Tor schießen. Durch unseren Block geht ein Raunen. Doch zwei in rot gekleidete Männer scheint das überhaupt nicht zu stören. Im Gegenteil: Auf einmal springen sie auf und fangen frenetisch an zu jubeln. Von einem Moment auf den anderen ändert sich die Stimmung. Die zwei Männer haben die volle Aufmerksamkeit unseres Blockes. Verächtlich richten sich immer mehr Augen auf sie. Die ersten Pommes fliegen durch die Luft. Im weiteren Verlauf des Spiels wird immer mal wieder etwas zu ihnen gerufen. Gestichelt. Auch die ersten Papierfähnchen fliegen in ihre Richtung. Die Situation eskaliert zum Glück nicht. Es bleibt bei kleineren Kommentaren in Richtung der Roten.
Vereinsdenken? Im Fußball ganz normal. Es gehört sogar dazu. Es macht das Spiel spannend. Wir sind besser als ihr! Wir sind mehr als ihr! Wir sind lauter als ihr!
Aber kommt dieses Denken nicht auch bis hinter unsere Kirchenmauern?
Wir sollen alle ein Leib sein, schrieb Paulus einmal. Ein Leib. Ein Gott.
Eine große weltweite Gemeinde.
Eine Gemeinde, die sich gegenseitig unterstützt.
Eine Gemeinde, die an einem Strang zieht. Eine Gemeinde, die dasselbe Ziel verfolgt.
Aber wie sieht es praktisch aus? Ist es nicht oft genau das Gegenteil?
Mein Gott. Dein Gott.
Meine Auslegung. Deine Auslegung.
Mein Lobpreis. Dein Lobpreis.
Meine Gemeinde. Deine Gemeinde.
Mein Verein. Dein Verein?
Wir schauen auf andere Gemeinden. Auf die wachsenden Mitgliederzahlen. Auf den cooleren Worship. Auf den packenderen Prediger. Neid kommt auf. Aus diesem Neid wächst das Gefühl von Konkurrenz. Das Gefühl, dass wir besser werden müssen, als die anderen.
Oder wir schauen auf andere Gemeinden. Auf die abweichende Theologie. Auf die unterschiedlichen Regeln. Auf die anderen Verhaltensweisen. Überheblichkeit kommt auf. Das Unbekannte ist merkwürdig. »Das ist doch sicher falsch!« Daraus wächst das Gefühl von Konkurrenz. Das Gefühl, dass wir besser sind, als die anderen.
„Lebt in Frieden miteinander. Versucht nicht, euch wichtig zu machen, sondern wendet euch denen zu, die weniger angesehen sind. Und bildet euch nicht ein, alles zu wissen.“
Römer 12,16
Es ist fanzinierend, unterschiedliche Gemeinden zu besuchen.
Sei es die kleine Dorfkappelle auf Skye im Norden von Schottland, in der zwanzig Menschen „a capella“ – zu einer sich mir nicht ganz erschließenden Melodie – Psalmen gesungen haben.
Oder die Hillsong-Church in einem Theater mitten in Central London, in der 2500 Menschen zu den Liedern abdancen, die ich schon hunderte Male auf Spotify gestreamt habe.
Oder der iranische Gottesdienst, bei dem ich drei Stunden lang nichts verstanden habe.
Oder die Kirche, in die wir spontan am Ostersonntag mit Wanderrucksack und Regenjacke gestiefelt sind. In der wir dann sogar ein geniales Osterfrühstück bekamen.
Oder die Gemeinde in Nepal, die sich bei Temperaturen von über 40°C trotzdem unter einem Wellblechdach trifft, um miteinander Gottesdienst zu feiern.
So viele grundverschiedene Gemeinden, Kirchen und Versammlungen. So viele verschiedene Anbetungsstile, Menschen und Kontexte. Überall auf der Welt verteilt. Aber alle haben eines gemeinsam. Überall gibt es Menschen, die mich herzlich aufgenommen haben. Überall gibt es Erlebnisse, an die ich gerne zurückdenke. Überall wird aus dem selben Buch vorgelesen. Bei allen geht es um den einen Gott, an den auch ich glaube.
Wie viel mehr könnten wir erreichen, wenn wir uns zusammentun? Uns als eine große Familie sehen. Brüder und Schwestern. Trotz unserer Unterschiede? Besinnen wir uns doch lieber auf das, was uns vereint und weniger darauf, was uns spaltet. Lasst uns weg kommen von dieser Stadion-Mentalität! Lasst uns über die Grenzen unserer Gemeinden hinausgehen. Uns zusammentun. Aufeinander zugehen. Zusammen Projekte starten. Gemeinsam in die Welt gehen. Eine Welt, die dunkel ist. Alle miteinander mit Gottes Liebe leuchten. Einen Unterschied machen. Lasst uns zusammen etwas reißen!
Wir sind verschieden, aber wir sind eins!
„Geschwister, im Namen von Jesus Christus, unserem Herrn, fordere ich euch alle auf, eins zu sein. Redet so, dass eure Worte euch nicht gegeneinander aufbringen, und lasst es nicht zu Spaltungen unter euch kommen. Seid vielmehr ganz auf dasselbe Ziel ausgerichtet und haltet in völliger Übereinstimmung zusammen.“
1.Korinther 1,10
Danke Philipp. Erst zusammen können wir als Christen wirken und verändern. Wir sind unterschiedliche Glieder an EINEM Leib. Was bringt ein Auge ohne Hand? Oder ein Fuß ohne Knie? Diese Zusammenarbeit kann schon im ganz Kleinen, schon beim Austausch über gelungene Jungscharspiele beginnen. . Lasst uns das nicht vergessen: Jesus, unser Zentrum, verbindet und überwindet (dadurch) auch Differenzen.