Ein neues Jahr wurde eingeläutet. Ein frohes neues Jahr! Mit lautem Knallen, bunten Lichtern, Feuerwerk. Mit leckerem Essen, Champagner und tollen Menschen. Freudige Umarmungen, fröhliche Blicke, feierliche Stimmung. Ein Hinter-sich-lassen, Abhaken und Nach-vorne-schauen. Vielleicht mit gemischten Gefühlen. Ein frohes neues Jahr!
Wie lange mag die Euphorie halten? Wie lang ist das neue Jahr froh?
Bei mir oft bis zum nächsten Morgen, bis ich raus gehe und den ganzen Müll auf den Straßen sehe. Wenn am nächsten Tag das Licht angeht, ist der glänzende Schein verblasst. Der Schutt und Schrott, den man möglicherweise im letzten Jahr lassen wollte, liegt dann symbolisch abgebrannt und klebrig durchnässt auf der Straße herum. Über Nacht ist eben nicht alles anders, geschweige denn alles neu. Die Uhren sind nicht auf null gestellt. Einmal habe ich Neujahr in der Früh gesehen, wie einige Räumungskräfte anfingen, die abgebrannten Feuerwerkskörper einzusammeln. Vermutlich damit die Stadt nicht zu ranzig aussieht. Damit der Glanz wieder kommt. Damit das neue Jahr auch wirklich froh wird. Seitdem habe ich beschlossen, keine Feuerwerkskörper zu kaufen.
Ich könnte ewig darüber meckern, wie schlimm ich die Müllproduktion durch die Feuerwerks-Kultur finde. Aber warum? Warum lasse ich mir das frohe neue Jahr davon madig machen? Trotz all den schönen Erinnerungen der vergangenen Stunden beherrschen der Anblick und das Nachdenken über das, was mich stört, meine Gedanken. Warum ist das so?
Weil ich deutsch bin. Seit ein paar Jahren fällt mir das vermehrt auf. Wir Deutschen meckern und jammern ohne Punkt und Komma, auch wenn es uns gerade richtig gut geht. Wir reden unfassbar gerne über Dinge, die uns nerven und uns stören. Ich würde so weit gehen und sagen, dass jammern und meckern zum guten Ton gehört. Damit meine ich nicht das Klagen über wirklich belastende Zustände, sondern über Nichtigkeiten. Zu gerne würde ich mal unsere WhatsApp-, Facebook- und Instagram-Posts mit den Unterhaltungen abgleichen, die darum herum stattfinden.
Instagram-Post: „lässige Kaffeepause zwischen den Lernzeiten“ vs. Gespräch bevor weiter gelernt wird: „Alles ist so viel, ich hab keine Lust, ich weiß nicht wie ich das schaffen soll, in der Uni wurden wir so schlecht vorbereitet, mimimi….“
WhatsApp-Post: „Herrlicher Skiurlaub, Neuschnee, wunderbar“ Gespräch: „Warum kommt der Skibus zu spät, es ist viel zu kalt und meine Handschuhe sind nass, die langsamen Skischulen nerven, mimimi….“
Das war natürlich etwas spitz, aber es gibt diese Situationen. Da hat man zum Beispiel einen Studienplatz bekommen, für den man nicht einmal etwas bezahlen muss, das Studienfach hat man selbst auswählen dürfen und im Großen und Ganzen macht es echt Spaß. Aber dieses bisschen Lernen vor einer Prüfung, ein Referat oder eine Hausarbeit? Fürchterlich. Ein interessantes Erlebnis hatte ich vor ein paar Wochen. Ich unterhielt mich mit einer Lehramtsstudentin im Praxissemester, um etwa 15:00 Uhr unter der Woche und in einem Café. Sie beklagte sich wehleidig über die viele Arbeit und den Stress mit den Unterrichtsentwürfen usw. Zur Info: Dass man als Studierende/r überhaupt ein ganzes Semester in einer Schule praktische Erfahrung sammeln kann, ist eine Besonderheit im Lehramtsstudium an der pädagogischen Hochschule. Als ich sie dann fragte, warum sie ihr Lehramtsstudium in Heidelberg angefangen hatte, sagte sie, dass die Arbeit mit Kindern ihr unheimlich Spaß mache und die praxisorientierte Ausrichtung in Heidelberg sie sehr überzeugt habe. Was für eine Ironie! In anderen Kontexten ist mir Ähnliches aufgefallen, auch bei mir selbst. Man meckert über etwas, dass man eigentlich enorm gut findet, es nur ab und zu einige kleinere Unannehmlichkeiten bereitet. Warum ist das so ausgeprägt bei uns?
Außerdem glaube ich, dass es uns ein gewisses Vergnügen und Wohlbehagen bereitet, wenn wir uns über Banalitäten aufregen können. Jammern hat bei uns einen gewissen Eigenhumor und erweckt Sympathie. Man bildet eine Gruppe, man pflegt Beziehungen, man vergesellschaftet sich, indem man zusammen meckert und jammert. Ich schaue gerne die Heute-Show. Ich mag solche Polit-Satire. Aber wenn man genau hinschaut, werden dort hauptsächlich Witze gemacht, indem man sich über irgendetwas aufregt oder beschwert. Carolin Kebekus und andere machen auf vergleichbare Arten ihre Witze. Ich glaube, in einem anderen Land könnte dieses Konzept nicht funktionieren. Aber in Deutschland ist das eben lustig.
Sollte man das ändern? Das ist eine entscheidende Frage. Eine eingefahrene, etablierte Kultur des Jammerns und Meckerns bekämpfen? Wofür? Sicherlich dient das Ganze auch der ein oder anderen Entlastung, gibt Spannungen Raum, dient der Stressverarbeitung und manchmal ist es sicherlich auch berechtigt. Vielleicht ist es auch ein unerwünschtes, aber unerlässliches Beiwerk unserer kulturellen Stärken wie Perfektion, Organisation und Zielstrebigkeit? Ich weiß es nicht. Allerdings glaube ich, dass wir dadurch einen guten, gesunden Optimismus einbüßen müssen. Wir fokussieren uns auf das Negative. Differenziert und detailliert kritisieren und Missstände aufdecken können wir. Können wir auch genauso begeistertes und Mut machendes Lob aussprechen? Weniger. Außerdem leidet unsere Zufriedenheit und Genügsamkeit. Wir sind unzufrieden – wir meckern – wir werden unzufriedener – wir meckern mehr. Das ist wieder sehr schwarz gemalt aber irgendwie stimmt es doch. Die Sicht auf Dinge verändert sich durch kollektives Jammern und Meckern. Was man gerade noch kaum bemerkt hat, wird auf einmal störend. Jammern ist ansteckend.
Ich glaube wir täten gut daran, uns die positiven Dinge und Begebenheiten in unserem Leben öfter in Erinnerung zu rufen und sie wertzuschätzen, bevor wir uns über Kleinigkeiten beklagen. Das verändert den Blick. Es fördert Dankbarkeit, Zufriedenheit und Optimismus. Es bringt und erhält ein frohes, neues Jahr. Nicht desto Trotz ist der Feuerwerksmüll überflüssig, aber Meckern wird das nicht konstruktiv verändern, sondern macht nur schlechte Laune.
Genügsamkeit, Zukunftsoptimismus, aktive Auseinandersetzung und konstruktive Kritik braucht das Land 2019!
Euer Lukas
Danke an Carlos Dominguez für das Beitragsbild
Ein Gedanke zu „Mimimi…“