Nur ein Niemand – vom Versuch, sich selbst nicht so wichtig zu nehmen

Schon vor längerer Zeit wurde ich auf einen Song hingewiesen, der mich so sehr inspiriert hat, wie schon lange keiner mehr zuvor. Damit das passiert, muss schon einiges zusammenkommen. Die Musik sollte eingängig, aber nicht gewöhnlich sein. Schnell mitzusingen, aber nicht langweilig und natürlich irgendwie besonders. Wenn noch dazu der Text eine tiefe Aussage in sich trägt und unvergleichlich unverkrampft mit der Musik ineinandergreift, ist es geschaffen: das Meisterwerk. So oder einen ähnlichen Prozess muss die amerikanische Rockband „Casting Crowns“ wohl durchlaufen sein, bevor sie 2018 den Song „Nobody“ veröffentlichte. Besonders der Refrain hat mich unmissverständlich angesprochen, mich inspiriert und mir eine neue Perspektive – ja fast schon eine Lebensvision offenbart. Ich bekomme immer noch jedes Mal Gänsehaut, wenn ich mir den Song anhöre. Doch bevor ich das weiter ausführe, höre lieber erstmal selbst:

Was geht dir durch den Kopf, nachdem du dir den Song angehört hast? Konntest du dich auf Text und Musik einlassen? Hast du einen Zugang gefunden? Denke noch ein paar Minuten darüber nach, falls der Song etwas in dir ausgelöst hat, bevor du weiterliest.

Was ich daran so genial finde, ist zunächst einmal der musikalische Einstieg, der mich so leicht und rhythmisch abholt und in den Song mit hinein nimmt. Dazu der Gesang in der Strophe – leicht gegenläufig zum Takt – gibt eine tolle Kombination zum mitwippen ab.

Doch was ich noch viel beeindruckender finde, ist der Refrain, der einerseits sprachlich so ausgefeilt ist und gleichzeitig eine wundersam tiefgründige Message übermittelt. Deswegen hier nochmal ein Ausschnitt:

„I’m just a nobody
trying to tell everybody
all about Somebody
who saved my soul.“

Nobody – Casting Crowns (feat. Matthew West)

„Ich bin nur ein Niemand,
der versucht allen,
alles über jemanden zu erzählen,
der meine Seele gerettet hat.“

Deutsche Übersetzung

„Ich bin nur ein Niemand.“

Wir haben in der Theater AG in der Schule einmal ein Stück gespielt, in dem eine Rolle „Paul Niemand“ hieß. Während es uns riesigen Spaß machte, mit diesem Nachnamen Wortwitze zu bilden wie „Niemand ist schon da“ oder „Niemand hört zu“ oder „Niemand hat heute Lust zu proben“, so ist es eigentlich – wenn man nicht gerade so heißt und es somit auf eine Person zutrifft – ziemlich deprimierend, wenn diese Sätze wahr wären. Wer möchte schon ein Niemand sein? Unbekannt. Unbeachtet. Ungesehen. Was ist daran schon positiv?

Mir gefällt diese Demut, direkt zu Beginn des Refrains. Wie sich der Sänger sieht. Dass er sich selbst nicht so wichtig nimmt und seinen Platz kennt. Dass er weiß, dass seine Fähigkeiten und seine Kraft begrenzt sind und nicht alles von ihm selbst abhängig ist. Mir tut es selbst immer wieder gut: mich selbst nicht so wichtig zu nehmen. Einerseits hilft es mir, entspannter durch das Leben zu gehen. Wenn ich mir bewusst mache, dass ich auf viele Dinge gar keinen Einfluss habe, auch wenn ich es mir oft einbilde. Andererseits ist es heilsam für den Umgang mit meinen Mitmenschen. Wenn ich mich selbst nicht so wichtig nehme, wenn ich mich selbst nicht nur um mich selbst drehe, habe ich mehr Kapazitäten für meine Mitmenschen. Mir kommt es oft so vor, dass ich eher dazu neige, an mich selbst zu denken und an das, was ich will, als an die Bedürfnisse meiner Mitmenschen.

Nach diesem ersten Schritt steckt in dem Song noch ein ziemlich großer Auftrag drin: nämlich allen alles über jemanden zu erzählen, der irgendeine Seele gerettet hat.

Mit diesem jemand ist Jesus gemeint und die Aussage bezieht sich unter anderem auf folgende Bibelstelle:

„Darum geht zu allen Völkern und macht die Menschen zu meinen Jüngern; tauft sie auf den Namen des Vaters, des Sohnes und des Heiligen Geistes“

Matthäus 28,19 (NGÜ)

Ein ziemlich großer Auftrag, der fast schon unmöglich scheint. Aber wenn man ihn auf die ganze Menschheit bzw. alle Christen verteilt, ist er vielleicht gar nicht mehr so unmachbar, wie er im ersten Moment klingt.

Gleichzeitig finde ich, dass in diesem Bibelvers oft ein großer Druck mitschwingt – oder vielleicht auch eher erzeugt wird. Dass man irgendetwas Krasses reißen muss, um anderen Menschen von diesem Jemand zu erzählen. In der Fußgängerzone Leute ansprechen oder in fremde Länder fahren.

Ich mag beide Strategien nicht so und bin auch nicht der Meinung, dass das die alleinigen Anleitungen wären, diesen Auftrag zu erfüllen. Ich glaube, dass es kein Zufall ist, in welches Umfeld ich hineingeboren wurde und worin ich mich bewege. Jeden Tag. Ich glaube, dass es eher darum geht, mein Leben authentisch mit diesem Jemand zu leben und wenn sich die Gelegenheit ergibt, nicht zu kneifen und davon zu erzählen (und es ergeben sich genug Gelegenheiten). Aus diesem Grund wurde vor rund 15 Monaten dieser Blog gegründet. Um Möglichkeiten zu schaffen, ein authentisches Leben als Christ zu teilen, in der Hoffnung, andere Menschen dadurch zum Nachdenken anregen oder sogar inspirieren zu können. Um Mut zu machen, möchte ich zum Abschluss noch von einer dieser Gelegenheiten (im echten Leben) erzählen, die mittlerweile fast zwei Jahre her ist. Film ab!

Mein Magen knurrt. Ich habe Hunger. Der Nachmittag ist schon weit vorangeschritten und das Mittagessen eine Weile her. Aber ich muss noch etwas weiterlernen. Noch eine halbe Stunde. Dann kann ich rausgehen, um mein mitgebrachtes Vesper zu genießen (was ich normalerweise nie mache, weil ich zu faul bin). Normalerweise lerne ich auch nie in dieser Bibliothek, für die ich mich heute entschieden habe.

Es ist Dienstag, nach dem Lernen steht noch eine Probe für den Gottesdienst am Sonntag an. Seit kurzem bin ich dort irgendwie in ein Leitungsteam gerutscht und unser Wunsch und Ziel ist es, unser sonntägliches Treffen so zu gestalten, dass wir gerne Freunde mitbringen, ohne sie gleich abzuschrecken. Ich bin nicht so der Held darin – Freunde mitzubringen. Ich habe kein Problem zu meinem Glauben zu stehen, renne jetzt aber auch nicht mit einem „Jesus liebt dich“-Shirt rum und binde es jedem auf die Nase. Doch heute wollte ich es mal wieder versuchen. Ich hatte morgens extra gebetet, dass ich zwei Kommilitonen einlade, mit denen ich mich dienstags immer zum Mittagessen treffe. Doch beide konnten heute nicht. Was für eine Enttäuschung! Da war es mir endlich mal wieder ein Anliegen gewesen und ich hatte sogar gebetet und dann nahm Gott mein Angebot nicht an…

Da stand ich also nun. Draußen vor der Bibliothek. Leicht frustriert, aber auch mit leichter Vorfreude auf die Probe heute Abend. Ich entpackte gerade mein Vesper, als mich auf einmal jemand ansprach: „Hey, was machst du hier so spät noch?“ Ich war etwas überrascht, ihn zu sehen. Wir kannten uns nur aus einer Vorlesung und hatten bisher nicht oft geredet. Aber ein bisschen Gesellschaft beim Essen war ja nicht schlecht. „Ähm… ich…“ Jetzt kam der Moment der Wahrheit. Erfand ich einfach irgendeinen halbwahren Grund wie „Stress mit den Prüfungen“ oder stand ich zu meinem Plan. Ich war leicht nervös und entgegnete: „Ich habe später noch so eine Probe in der Stadt. Für so einen Gottesdienst.“

„Waaaaaas?! Gottesdienst?! Ist ja mega krass. Das feier ich voll, wegen der Gemeinschaft und so. Meinst du, ich kann auch kommen?“, erwiderte mein Kommilitone. Diese Reaktion hatte ich jetzt nicht erwartet. Eher sowas wie: „Alter, was ist bei dir falsch?! Du gehst in die Kirche?! Glaubst du dann auch an Gott?“

Zum Glück war ich in der Situation nicht sprachlos, aber doch ein bisschen kalt erwischt. „Ja klar kannst du kommen“, sagte ich. Ich nannte ihm Adresse und Zeitpunkt und er versprach auf jeden Fall zu kommen. Wenn das nur immer so einfach laufen würde…

Ich erzähle diese Geschichte so gerne, weil sie zeigt, dass ich gar nichts tun musste, um den in diesem Beitrag angesprochenen Auftrag zu erfüllen. Ich musste nichts Verrücktes oder Außergewöhnliches machen, sondern einfach nur meinen Alltag leben und im entscheidenden Moment ehrlich und authentisch sein. Ich bin ein Niemand in der Geschichte. Meine Rolle hätte auch jemand anders spielen können. Vielleicht nicht an diesem Tag, aber an einem anderen. Es geht nicht um mich, sondern darum, ehrlich und authentisch zu sein.

Die Geschichte geht noch weiter. Mein Kommilitone kam tatsächlich in den Gottesdienst. Es gefiel ihm sehr gut und da er – frisch hergezogen – Anschluss suchte, blieb er und schloss sich unserer Studentengruppe an. Wir begleiteten ihn auf seinem Weg, diesen Jemand (Jesus) kennenzulernen, der bereits unsere Seelen gerettet hatte und nun drauf und dran war, dasselbe auch mit ihm zu tun. Nach einigen Monaten entschied sich mein Kommilitonen dann selbst mit diesem Jemand zu leben – doch das ist eine andere Geschichte. Für heute zählt: Alles begann mit einem Niemand.


Danke an Martin Adams für das Foto von Unsplash.

Wie du mir, so ich dir?

Ein Wind bläst mir um die Nase. Im Takt strampeln meine Beine hoch und runter. Nur ein gleichmäßiges Reiben der Kette ist zu hören. Nach fast acht Stunden auf dem Fahrrad fangen meine Waden an zu ziehen. Von meinem Allerwertesten ganz zu schweigen. Aber noch höchstens eine Stunde, dann haben wir das Tagesziel erreicht. Das ganz große Ziel Amsterdam ist noch in weiter Ferne. Über 500 Kilometer um genau zu sein. Einfach so mit dem Fahrrad fahren. Einfach so irgendwo übernachten. Kein Druck. Nichts was mich ablenkt. Ein Gefühl der Freiheit.

Pfffft… Von einem Moment auf den anderen ist das Gefühl verflogen. Stillstand. Gepäck abladen. Rad abmontieren. Schlauch raus. Flicken drauf. Schlauch rein. Rad drauf. Aufpumpen. Gepäck zurück. Abfahrt. Nach einer halben Stunde sind wir wieder auf den Rädern. Pfffft… Doch das nur für maximal zehn Minuten. Langsam wird es dunkel. Die Zeit rennt uns davon. Aber was solls? Gepäck abladen. Rad abmontieren. Schlauch raus. Flicken drauf. Schlauch rein. Rad drauf. Aufpumpen. Gepäck zurück. Pffft… Das kann doch jetzt nicht wahr sein. Das war der letzte Flicken. Wir sitzen irgendwo in einem Wohngebiet. Der nächste Laden ist eine Stunde entfernt.

So sitzen wir nun da. Drei Jungs, total verloren um ein Fahrrad sitzend. Wir diskutieren. Es kann doch nicht sein, dass wir keine Lösung finden!? Das bekommen wir schon irgendwie hin. Wir wissen uns doch zu helfen! Okay… zum Baumarkt kommen wir nicht mehr. In einer Stunde ist er geschlossen. Und wer weiß, ob sie Rennradschläuche haben? Wo bekommt man die sonst her? Amazon! Natürlich! Wie lange brauchen die, für die Lieferung? Gibt es da nicht den Prime Morningexpress? Ja stimmt! Aber wohin sollen die liefern? Sollen wir einfach irgendeine Adresse angeben und den Postboten abfangen? Ne… das klappt niemals! Paketstation! Ja genau! Gibt es irgendwo eine? Ja! Sogar in diesem Dorf! Super! Dann machen wir das. Aber auch der letzte Rettungsanker, Amazon, hilft nichts. Wir sind ein paar Minuten über dem Zeitlimit für Expresslieferungen. “Kann ich euch irgendwie helfen?” Huch? Wer war das? Vor uns steht ein Mann mittleren Alters. Anscheinend ein Anwohner. Ach was. Ne… Das bekommen wir schon alleine hin. Wir können ihm doch jetzt nicht zur Last fallen. Aber Stück für Stück stehen immer mehr Anwohner bei uns und wollen helfen. Eine Frau fährt mit dem Auto zu einem Freund, der scheinbar Schläuche herumliegen hat. Ein Mann gibt uns neues Flickzeug. Eine Frau bietet uns an, bei ihr daheim aufs Klo zu gehen. Da es regnet, fragt uns eine andere, ob wir uns in der Garage unterstellen wollen. Später kommt sogar eine Omi vorbei und gibt jedem von uns eine Tafel Schokolade und etwas zu Trinken. Total überfordert von der unglaublichen Hilfsbereitschaft stehen wir da und versuchen unser möglichstes, das Fahrrad irgendwie zu reparieren. Aber es hilft nichts, wir werden den Campingplatz wohl nicht erreichen.

Einige Tage später stehen wir vor einer Kneipe und schließen unsere Fahrräder auf. Da kommt ein Mann auf uns zu. Seine Kleider sind zerlöchert und er riecht so, als hätte er schon länger keine Dusche mehr gesehen. In gebrochenem Englisch erzählt er uns eine herzerwärmende Geschichte. Seine Kinder wohnen in Berlin und er möchte dort hin, aber er hat kein Geld für ein Ticket.
Ich schalte automatisch in einen anderen Modus. Der Modus, den ich mir über die Jahre angeeignet habe, nachdem ich von vielen Bettlern um Geld gebeten wurde. Ich tue beschäftigt und hoffe, dass er gleich wieder geht und ich mit meinem Leben weiter machen kann. Aber es hilft nichts. Also Stufe 2: “Sorry! I don’t have any cash.” Irgendwann merkt er, dass es keinen Sinn hat und geht weiter. Der Freund, mit dem ich da stand, schaut mich betroffen an: “Wir hätten ihm helfen sollen”, sagt er.
Ja… Aber wenn wir ihm Geld geben, dann wissen wir ja auch nicht, was er damit anfängt (Eine richtig gute Ausrede, Bettlern kein Geld zu geben)
“Wir hätten ihm einfach das Ticket kaufen sollen. Das kostet fünfzehn Euro.”
Boom! Der hat gesessen. Meine einzige logische Ausrede ist dahin. Stimmt das hätte wir tun können. Vielleicht hätten wir ihm wirklich helfen können. Wie kann man nur so kalt sein? So unmenschlich? So abweisend? Ein Mensch hat mich um Hilfe gebeten und ich habe ihn einfach ignoriert.
Stand ich nicht vor einer Woche genauso hilflos da? Ich war damals überwältigt von dieser riesigen Hilfsbereitschaft. Und jetzt bin ich nicht einmal bereit ein paar Euro für jemanden auszugeben, der offensichtlich Hilfe braucht. Von der Tatsache, dass ich nicht weiß, ob er wirklich nur ein Ticket braucht mal ganz abgesehen.

Ein bisschen erinnert mich das an eine Geschichte aus der Bibel. Dort schuldet ein Mann dem König eine unfassbar hohe Summe Geld. Doch der König erlässt sie ihm einfach. Kurz darauf geht der Mann zu einem seiner Schuldner, der ihm eine vergleichsweise minimale Geldsumme schuldet und fordert sein Geld zurück. Total bescheuert, oder? Null Dankbarkeit. Diese Geschichte steht in einem etwas anderem Kontext (lest das gerne mal nach: Matthäus 18:21-35). Trotzdem kann ich dort ein gewisses Prinzip wiederfinden. Ich finde mich in genau diesem Mann wieder. Da haben Leute für mich ihren Abend geopfert, mir viele Dinge geschenkt, ohne eine Gegenleistung zu erwarten, aber wenn ich die Möglichkeit habe jemand anderem zu helfen, tue ich es nicht.

Mach dir mal bewusst, was du heute Gutes erlebt hast. Kannst du etwas davon zurückgeben?


Text und Foto: Philipp Jenny

Maske ab, Vorhang auf!

Seit meinem fünften Lebensjahr liebe ich es, auf großen Bühnen vor vielen Leuten aufzutreten und dafür in die verschiedensten Rollen zu schlüpfen, Skripte auswendig zu lernen und – zumindest meistens – schicke Kostüme anzuziehen. Meine erste Rolle war der „Grashüpfer“ in „Schneeweißchen und Rosenrot“ und – nun ja – für das Stück eher weniger von Bedeutung. Doch seit diesem, meinem ersten großen Auftritt, wurde das Schauspielern zu meiner großen Leidenschaft! So spielte ich in den Jahren darauf auf vielen verschiedenen Bühnen. Mal vor kleinerem und mal vor größerem Publikum. Mal die Hauptrolle und mal auch einfach bloß den Grashüpfer. Mal sang ich ein Solo und mal tanzte ich.
Und obwohl jede Rolle, die ich spielte, ganz anders als die vorherige war, hatten alle meine Rollen etwas gemeinsam: sie waren fiktiv. Nur Rollen, die ich für 90 Minuten spielte. Keine Realität.
Vor jeder Aufführung musste ich in „die Maske“, um dort geschminkt, frisiert und zurechtgemacht zu werden. Wenn ich dort fertig war, fühlte ich mich genauso: Wie jemand, der eine Maske trägt.

Wir haben nun Mitte September. Der Sommer neigt sich dem Ende zu und was bleibt, sind die Erinnerungen an Strandtage, gelesene Bücher, Städtetrips und laue Sommernächte mit guten Freunden. Doch für mich bleibt noch etwas anderes:
Eine schmerzhafte und zugleich heilsame Erkenntnis, von der ich euch heute gerne berichten möchte…

Diesen Sommer ist mir bewusst geworden, dass ich nicht nur auf großen Bühnen eine andere Rolle spiele und dafür eine Maske trage. Nein, ich tue dies jeden Tag.
In meinem Alltag.

Wenn ich an meine letzten Jahre zurückdenke, fallen mir so viele Situationen ein, in denen ich sehr gestresst und überfordert von all den Aufgaben war, die ich (so dachte ich zumindest) bewältigen musste. Aber vor allem war ich gestresst, weil ich extrem hohe Ansprüche an mich selbst hatte. Ich wollte so vieles erreichen und sein. Ich wollte Bestnoten in der Uni bekommen. In meiner Hochschulgruppe wollte ich tatkräftig mitwirken, Neues starten und in der Band spielen. Ich versuchte, jeden Tag Sport zu machen, immer gesund und vollwertig zu essen und natürlich selbst zu kochen. Wenn Leute zu Besuch kamen, räumte ich vorher die ganze Wohnung auf, damit bloß keiner auf die Idee kommen könnte, ich sei chaotisch. Darüber hinaus versuchte ich auch vor Gott „gut dazustehen“ und jeden Morgen Bibel zu lesen, mich vorbildlich an alle Gebote zu halten und niemandem meiner Mitmenschen schlecht zu behandeln. Und dann wollte ich noch schön aussehen, mich hübsch anziehen und meine Haare einigermaßen pflegen.
Und und und…
Je länger ich diesen Maßstäben hinterherjagte, desto unzufriedener wurde ich mit mir selbst. Es gelang mir nicht, die „Greta“ zu sein, die ich sein wollte.
Doch auch, wenn ich mir selbst nichts vormachen konnte, so wollte ich dennoch nach außen hin so tun, als ob ich diese „Wunder-Greta“ sei. Ich lächelte permanent und wollte um jeden Preis von meinen Mitmenschen gemocht werden. Ich versuchte immerzu gut gelaunt zu wirken, freundlich zuvorkommend zu sein und mir Zeit für alles und jeden zu nehmen – auch, wenn das bedeutete, dass ich keine Zeit mehr für mich selbst hatte.
Ich meißelte mir selbst eine Maske, die ich tragen wollte. Eine Maske, die versteckte, wer ich wirklich war. Und je krampfhafter ich versuchte, diese Maske aufrechtzuerhalten, desto erschöpfter und verzweifelter war ich. Mein Alltag wurde für mich zu einer Überforderung. Zu purem Stress.

Doch warum das alles? Warum meinte ich, eine Maske tragen zu müssen? Und warum tragen auch viele andere eine Maske?
Vielleicht auch Du?

Meine Antwort darauf war einfach zu finden und schwer zu akzeptieren:
Ich strebte danach, „perfekt“ zu sein – die perfekte Tochter/ Freundin/ Cousine/ Kommilitonin/ Praktikantin/ Mitbewohnerin/ Gruppenleiterin/ etc.
– mit dem Ziel, dadurch von anderen gemocht und vielleicht sogar bewundert zu werden. Und all das, weil ich meinen eigenen Wert nicht erkannte…

Das zu realisieren, war für mich schmerzlich und heilsam zugleich.
Schmerzlich, weil ich, auf dem Weg „perfekt“ zu werden, mich selbst verloren habe. Ich wollte von der Welt geliebt werden und hasste mich selbst mit jeder „Unperfektheit“ an mir immer mehr.
Und heilsam, weil ich in diesem Sommer meinen Kurs geändert habe. Ich habe mir viel Zeit genommen, um mich selbst wiederzufinden, bzw. kennenzulernen. Und ich kam zu dem Schluss: Ich will keine Maske mehr tragen! Ich will endlich ich selbst sein! Unperfekt, aber echt!

Doch was passiert, wenn die Maske ab ist und ich mein wahres Gesicht zeige?
Mögen mich meine Freunde und Familienmitglieder noch, wenn ich nicht immer nur gute Laune habe und bei mir „alles gut“ ist? Was ist, wenn ich nicht mehr jedem zustimme, sondern mal meine Meinung vertrete und sage, was mich stört? Was ist, wenn ich belächelt werde oder über mich geredet wird, weil ich zu dem stehe, was ich gut finde? Wenden sich meine Mitmenschen dann von mir ab?
Bin ich noch eine gute Freundin, wenn ich mal keine Zeit oder keinen guten Ratschlag parat habe? Mögen mich die Leute in Heidelberg noch, wenn ich nicht überall dabei bin, für irgendein Event mitarbeite oder irgendwo in einer Band mitspiele? Sind meine Eltern noch stolz auf mich, wenn ich nicht nur Bestnoten schreibe oder Entscheidungen treffe, die vielleicht nicht in ihrem Sinne sind? Enttäusche ich meine Vorgesetzten im Praktikum an der Schule, wenn ich einmal kein didaktisches Feuerwerk im Unterricht abfackeln lasse? Und wie denken andere Christen über mich, wenn ich mal nicht jeden Tag in der Bibel lese, lüge, neidisch bin oder meinen Mitmenschen mal nicht wertschätzend begegne?

Ja, die Frage „Was denken die anderen?“ hält mich (und vermutlich viele andere) davon ab, die Maske(n) abzunehmen und ich selbst (bzw. man selbst) zu sein.
Doch nun komme ich zu meinem alles entscheidenden Fazit:

Fakt No. 1
Wenn ich vorgebe, jemand anderes zu sein und mich hinter einer „perfekten“ Maske verstecke, dann mögen meine Mitmenschen ja nicht wirklich mich, sondern die Fake-Greta. Was habe ich davon? Ich möchte ja genauso gemocht werden, wie ich wirklich bin und nicht so, wie mein Gegenüber es gern hätte. Und wenn ich dann mal nicht gemocht werde, „so what?!“ – dann darf es mir egal sein, weil ich mir gewiss sein kann, dass mich die „richtigen Menschen“ mögen werden. Und darauf kommt es doch an. Oder?

Fakt No. 2
Wenn ich mein wahres Gesicht zeige und zu meiner Unperfektheit stehe, ist das nicht nur für mich, sondern auch für andere befreiend. Wenn ich jemanden kennenlerne, der nach außen hin „perfekt“ wirkt, wachsen bei mir häufig Selbstzweifel und Eifersucht: „Warum schafft sie/er das alles und ich nicht?“ Doch mal ganz im Ernst: Wer ist schon perfekt? (Und was ist überhaupt „perfekt“?)
Einer meiner Lieblingssprüche lautet: „Nur eine 0 hat keine Ecken und Kanten“. Gerade unsere Unperfektheit macht uns nahbar, interessant, authentisch und liebenswert!

Deshalb bin ich entschieden, mich von nun an nicht länger zu verbiegen und mich hinter einer Maske verstecken, um anderen zu gefallen. Ich will ICH sein. Die wahre Greta.
Erträumt, erschaffen und unendlich geliebt von meinem Vater im Himmel!

Ich möchte euch ermutigen, echt und authentisch zu sein, die Masken abzulegen und euch genauso zu lieben und lieben zu lassen, wie ihr seid!
Es tut so, so gut! Eure Greta!

„Be weird. Be random. Be who you are. Because you never know, who loves the person, you hide.“ – C. S. Lewis