Wie lange noch?

Ich habe keine Lust mehr! Nach über einem Jahr Pandemie ist das der Satz, der häufig in meinen Kopf kommt. Mittlerweile habe ich die Nase voll von den scheinbar nie endenden Einschränkungen. Ich verstehe, dass es wichtig ist Kontakte weiter einzuschränken. Aber der Wunsch sich endlich wieder unbeschwert mit Freunden treffen zu können – Pläne zu machen, wird mit jedem Tag größer. Ja. Ich beschwere mich hier auf einem sehr hohen Niveau. Es gibt Menschen, die liegen auf Intensivstationen und kämpfen um ihr Leben. Und ich? Ich meckere darüber, dass ich mich nicht mit mehr als einer Person gleichzeitig treffen kann. 

Vor ein paar Monaten hat es mich dann selbst erwischt. Ich bin glücklicherweise im Vergleich zu anderen in meinem Umfeld glimpflich davongekommen. Meine Freundin hat bis heute mit den Folgen zu kämpfen und bekommt immer wieder nur schwer Luft.
Und da stelle ich mir so oft die Frage: Wo ist Gott in dem ganzen? Warum tut er scheinbar nichts? Warum gehts mir gut und ihr nicht?
Klassische Fragen, die im Kontext von Leid oft gestellt wurden, die ich aber jetzt erst richtig nachvollziehen kann.

Letzte Woche habe ich dann für einen Livestream einen Poetry Beitrag gefilmt. In einer Zeit in der man mit so vielen hochemotionalen medialen Inhalten bombardiert wird, passiert es nur noch selten, dass ich eine Gänsehaut bekomme. Das Gefühl hatte ich schon lange nicht mehr. Aber in dem Moment als ich am Videoschnitt saß, hat es mich gepackt. Die Worte haben einfach genau zu meiner Situation gepasst. Ich konnte diesen großen Wunsch nach Normalität so sehr nachvollziehen. 

Als Christen sind wir in keiner bevorzugten Stellung. Also im Sinne von: Es ist nicht wie eine magische Formel die besagt, sobald du Christ bist, ist alles gut. Leider nicht. Schön wär’s. Wir stecken genauso im Sumpf wie jeder andere auch. Aber was mir hilft, ist zu wissen, dass ich nicht alleine bin. Dass es jemanden gibt, den ich anschreien kann, wenn mir etwas so richtig stinkt und wenn ich etwas nicht verstehe. Gott ist nicht weit weg und schaut nur zu. Er ist mit mir in diesem Sumpf und schenkt auch immer wieder Lichtblicke.

Als Christ habe ich eine Aussicht, dass es besser wird. Dass, egal wie schlimm meine Situation ist, irgendwann – spätestens bei Gott im Himmel – alles wieder gut ist (Und ich glaube nicht, dass wir bei Corona so lange warten müssen). Wir Christen haben vor allem in den dunklen Zeiten die Chancen für andere Leute da zu sein und ihnen einen kleinen Hoffnungsschimmer zu geben.
Wo kannst du dieser Lichtblick sein?

Ein Beitrag von Philipp

Das Video wurde für die Veranstaltung „paXanders“ vom SWD-EC Verband produziert.
Poetry: Tami
Schnitt: Philipp

Das Titelbild vom Beitrag ist von Engin Akyurt auf unsplash.com

Die Kunst des Helfens

Damaris. 26. Referendarin. Begeisterte Gastgeberin. Liebt es Gott in der Natur und im gemeinsamen Lobpreis zu begegnen.


Hier war ich nun. Im neuen temporären Camp auf Lesbos. An der europäischen Außengrenze statt wie geplant in Südamerika. Im Oktober statt wie geplant im September, da der Brand im Camp Moria auch meinen Plan B erst einmal durchkreuzt hatte. Aber jetzt war ich hier, überaus motiviert. Endlich konnte ich meine freie Zeit zwischen Studium und Referendariat dazu nutzen, Menschen in Not aktiv zu helfen. Jesu Liebe in praktischer Weise weiterzugeben. Doch nach meinem ersten Tag im Camp war ich einfach nur enttäuscht. Ich hatte keineswegs das Gefühl, den Menschen zu helfen – eher im Gegenteil…

Eine meiner Aufgaben an Tag eins bestand nämlich darin, zusammen mit einer anderen Freiwilligen einigen Familien neue Behausungen zuzuweisen. Aufgrund des Regens waren ihre Zelte am Tag zuvor überflutet worden und sie waren übergangsweise in einer der großen Hallen untergekommen. Von unserem Housing-Koordinator hatten wir einen Zettel mit möglichen freien Zelten bzw. Zelthälften (meistens leben zwei Parteien in den 12m² Zelten) bekommen. Die Familien waren allerdings keineswegs zufrieden mit unseren Vorschlägen. An jedem Zelt, das begutachtet wurde, gab es etwas auszusetzen: zu nah am Meer, zu instabil, mit den Nachbarn käme man nicht klar. Sie wollen lieber ihr altes Zelt reparieren, wollen mit den Großeltern zusammenbleiben und so weiter. Es wurde diskutiert und nach Alternativen gesucht. Am Ende des Tages blieben fast alle Familien eine weitere Nacht in der Halle, weil keine zufriedenstellende Behausung gefunden werden konnte. Gefühlt hatte also alles nichts gebracht: das ganze Verhandeln, das Nachvollziehen der verschiedenen Standpunkte und das Abwägen der wenigen Optionen. Enttäuscht und müde vom vielen Laufen fiel ich in mein Bett. So hatte ich mir die Arbeit auf Lesbos nicht vorgestellt. Ich war gekommen, um den Menschen dort zu helfen. Nicht mit dem Anspruch, dauernd ein „Danke“ zu bekommen oder den Leuten täglich ein Lächeln aufs Gesicht zaubern zu können. Allerdings schon mit der Vorstellung zu bewirken, dass sich durch meine Arbeit die Menschen zumindest für einen Moment besser fühlten. Mit ihnen zu diskutieren und ihnen versuchen klarzumachen, dass dieses Zelt leider ihre letzte Option sei, gehörte für mich nicht zur Definition von Helfen. In den zwei Monaten auf Lesbos lernte ich jedoch, dass jemanden zu helfen sehr facettenreich sein kann.

Nach meinem ersten Tag lag ich u.a. enttäuscht im Bett, da ich meine Aufgabe, die Familien in neuen Zelten unterzubringen, nicht erfolgreich erledigt hatte. Mir wurde beteuert, dass das ganz normal sei und dass sich das Finden von neuen Behausungen, mit denen alle Beteiligten zufrieden sind, auch über mehrere Tage ziehen könne. Trotzdem fühlte es sich nicht gut an. Ich konnte den Familien nicht dabei helfen, wieder ihre eigenen vier (Zelt)Wände zu haben, anstatt in einer riesigen Halle ohne Privatsphäre schlafen zu müssen. Am Ende konnte ich kein direktes Ergebnis vorweisen. Heißt das nun, dass ich ihnen nicht geholfen habe? In der Situation fühlte es sich so an, doch rückblickend kann ich sagen, dass meine Hilfe darin bestanden hatte, zu versuchen, ihre Standpunkte zu verstehen, Verständnis zu zeigen und Alternativen zu suchen. Der Handlungsspielraum der NGOs im Camp ist leider sehr eingeschränkt, sodass die direkte, benötigte Hilfe oftmals nicht geleistet werden kann. Dieses Gefühl der Hilflosigkeit kann sehr niederschmetternd sein, gerade weil man ja zum Helfen gekommen ist. Silas, ein weiterer Freiwilliger, erzählte bei einer Andacht am Morgen von einer ähnlichen Situation. Nach einem schlimmen Unwetter kam ein Geflüchteter zu ihm und beschwerte sich über die miserablen Zustände im Camp. Silas fühlte sich hilflos, da er keinen der erwähnten Punkte ändern konnte. Er wusste nicht, was er sagen sollte, also hörte er dem Mann einfach nur zu. Nachdem dieser seinen ganzen Frust in einem Monolog abgelassen hatte, bedankte er sich bei Silas und ging.

Als Christen dürfen wir uns sicher sein, dass Gott uns auf dieser Erde gebrauchen möchte. Das tut er auch, wenn wir uns gerade hilflos fühlen und daran zweifeln, ob unsere momentane Arbeit überhaupt noch Sinn ergibt. Oftmals können wir Menschen auch auf anderen Wegen helfen, die uns selbst vielleicht klein oder unbedeutend vorkommen.   

Die Zeit mit EuroRelief auf Lesbos hat meine Definition von Helfen erweitert. Es geht nicht immer darum, ein Ergebnis vorzuweisen oder zu bewirken, dass beide Seiten sich direkt danach besser fühlen. Ich bin jedoch dankbar, dass ich auch ganz viele Momente erleben durfte, in denen strahlende Augen und ein „tashakur“ (Danke) die ganz natürlichen Reaktionen auf meine Hilfe waren.


Foto: Silas Zindel

Ich wünschte, ich könnte nicht mehr beten!

Natalie. 21. Studentin. Liebt es tiefe Gespräche mit Leuten zu führen und dabei Gottes Wirken zu erkennen.

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