Die Kunst des Helfens

Damaris. 26. Referendarin. Begeisterte Gastgeberin. Liebt es Gott in der Natur und im gemeinsamen Lobpreis zu begegnen.


Hier war ich nun. Im neuen temporären Camp auf Lesbos. An der europäischen Außengrenze statt wie geplant in Südamerika. Im Oktober statt wie geplant im September, da der Brand im Camp Moria auch meinen Plan B erst einmal durchkreuzt hatte. Aber jetzt war ich hier, überaus motiviert. Endlich konnte ich meine freie Zeit zwischen Studium und Referendariat dazu nutzen, Menschen in Not aktiv zu helfen. Jesu Liebe in praktischer Weise weiterzugeben. Doch nach meinem ersten Tag im Camp war ich einfach nur enttäuscht. Ich hatte keineswegs das Gefühl, den Menschen zu helfen – eher im Gegenteil…

Eine meiner Aufgaben an Tag eins bestand nämlich darin, zusammen mit einer anderen Freiwilligen einigen Familien neue Behausungen zuzuweisen. Aufgrund des Regens waren ihre Zelte am Tag zuvor überflutet worden und sie waren übergangsweise in einer der großen Hallen untergekommen. Von unserem Housing-Koordinator hatten wir einen Zettel mit möglichen freien Zelten bzw. Zelthälften (meistens leben zwei Parteien in den 12m² Zelten) bekommen. Die Familien waren allerdings keineswegs zufrieden mit unseren Vorschlägen. An jedem Zelt, das begutachtet wurde, gab es etwas auszusetzen: zu nah am Meer, zu instabil, mit den Nachbarn käme man nicht klar. Sie wollen lieber ihr altes Zelt reparieren, wollen mit den Großeltern zusammenbleiben und so weiter. Es wurde diskutiert und nach Alternativen gesucht. Am Ende des Tages blieben fast alle Familien eine weitere Nacht in der Halle, weil keine zufriedenstellende Behausung gefunden werden konnte. Gefühlt hatte also alles nichts gebracht: das ganze Verhandeln, das Nachvollziehen der verschiedenen Standpunkte und das Abwägen der wenigen Optionen. Enttäuscht und müde vom vielen Laufen fiel ich in mein Bett. So hatte ich mir die Arbeit auf Lesbos nicht vorgestellt. Ich war gekommen, um den Menschen dort zu helfen. Nicht mit dem Anspruch, dauernd ein „Danke“ zu bekommen oder den Leuten täglich ein Lächeln aufs Gesicht zaubern zu können. Allerdings schon mit der Vorstellung zu bewirken, dass sich durch meine Arbeit die Menschen zumindest für einen Moment besser fühlten. Mit ihnen zu diskutieren und ihnen versuchen klarzumachen, dass dieses Zelt leider ihre letzte Option sei, gehörte für mich nicht zur Definition von Helfen. In den zwei Monaten auf Lesbos lernte ich jedoch, dass jemanden zu helfen sehr facettenreich sein kann.

Nach meinem ersten Tag lag ich u.a. enttäuscht im Bett, da ich meine Aufgabe, die Familien in neuen Zelten unterzubringen, nicht erfolgreich erledigt hatte. Mir wurde beteuert, dass das ganz normal sei und dass sich das Finden von neuen Behausungen, mit denen alle Beteiligten zufrieden sind, auch über mehrere Tage ziehen könne. Trotzdem fühlte es sich nicht gut an. Ich konnte den Familien nicht dabei helfen, wieder ihre eigenen vier (Zelt)Wände zu haben, anstatt in einer riesigen Halle ohne Privatsphäre schlafen zu müssen. Am Ende konnte ich kein direktes Ergebnis vorweisen. Heißt das nun, dass ich ihnen nicht geholfen habe? In der Situation fühlte es sich so an, doch rückblickend kann ich sagen, dass meine Hilfe darin bestanden hatte, zu versuchen, ihre Standpunkte zu verstehen, Verständnis zu zeigen und Alternativen zu suchen. Der Handlungsspielraum der NGOs im Camp ist leider sehr eingeschränkt, sodass die direkte, benötigte Hilfe oftmals nicht geleistet werden kann. Dieses Gefühl der Hilflosigkeit kann sehr niederschmetternd sein, gerade weil man ja zum Helfen gekommen ist. Silas, ein weiterer Freiwilliger, erzählte bei einer Andacht am Morgen von einer ähnlichen Situation. Nach einem schlimmen Unwetter kam ein Geflüchteter zu ihm und beschwerte sich über die miserablen Zustände im Camp. Silas fühlte sich hilflos, da er keinen der erwähnten Punkte ändern konnte. Er wusste nicht, was er sagen sollte, also hörte er dem Mann einfach nur zu. Nachdem dieser seinen ganzen Frust in einem Monolog abgelassen hatte, bedankte er sich bei Silas und ging.

Als Christen dürfen wir uns sicher sein, dass Gott uns auf dieser Erde gebrauchen möchte. Das tut er auch, wenn wir uns gerade hilflos fühlen und daran zweifeln, ob unsere momentane Arbeit überhaupt noch Sinn ergibt. Oftmals können wir Menschen auch auf anderen Wegen helfen, die uns selbst vielleicht klein oder unbedeutend vorkommen.   

Die Zeit mit EuroRelief auf Lesbos hat meine Definition von Helfen erweitert. Es geht nicht immer darum, ein Ergebnis vorzuweisen oder zu bewirken, dass beide Seiten sich direkt danach besser fühlen. Ich bin jedoch dankbar, dass ich auch ganz viele Momente erleben durfte, in denen strahlende Augen und ein „tashakur“ (Danke) die ganz natürlichen Reaktionen auf meine Hilfe waren.


Foto: Silas Zindel