Von Schwachheit und Stärke

Ich liege in meinem Bett. Das Zimmer ist dunkel. Licht aus. Ein bisschen Sonne schimmert durch die Rolladenritzen. Zu viel für meine Augen. Zu hell. Meine Stirn pocht, mein Kopf schmerzt. Ich kann nichts anderes, als dazuliegen und zu versuchen, mich krampfhaft zu entspannen. Doch sie will nicht nachlassen. Die Spannung pulsiert in meinem ganzem Körper. Es dauert Stunden, bis ich einschlafen kann. Am nächsten Morgen ist alles wieder vorbei.

Diese Situation begleitet mich schon ewig. Seit ich denken kann. Mal häufiger, mal seltener, doch nie ganz weg. Immer wieder kommt sie zurück: die Migräne. Es sind Momente des kompletten Stillstands. Wenn alles um mich herum egal ist und es nur noch darum geht, zu versuchen zur Ruhe zu kommen und die Spannung irgendwie auszuhalten.

Als Kind war es noch extremer und häufiger. Zeitweise zwei bis dreimal pro Woche. Dann ging gar nichts mehr außer ins dunkle Zimmer liegen und versuchen zu schlafen. Ich habe alles Mögliche probiert: Genug zu Essen, Trinken und zu Schlafen. Tabletten haben nie geholfen. Oft habe ich mich gefragt: „Warum ich?“ und mir in diesem Moment gewünscht, lieber Bauchweh zu haben. Hatte ich dann mal Bauchweh, sehnte ich mich nach der Migräne.

Heute kommt es zum Glück nicht mehr so oft vor. Ein paar Jahre war ich sogar ganz davon frei. Doch die Migräne kam wieder. Wenn auch seltener, aber sie kam. Der Auslöser dafür ist heute meistens Stress, den ich mir selbst mache. Dann, wenn alles zu viel zu werden scheint. Wenn mein Zeitmanagement versagt hat. Da ich das mittlerweile gecheckt habe, kann ich darauf achten, Einfluss darauf nehmen und versuchen möglichst präventiv zu handeln.

Lange habe ich die Migräne für ein Handicap gehalten. Bis ich darauf gestoßen bin, was Paulus (ein großer Prediger und Briefeschreiber aus der Bibel) dazu gesagt hat: Paulus schreibt von einem „quälenden Leiden“, das er regelmäßig erlebt. Für ihn fühlt es sich an, als ob ein „Engel des Satans“ ihn mit seinen Fäusten schlägt. Was auch immer er damit meint, ich will es lieber nicht so genau wissen. Stattdessen finde ich es umso beeindruckender, wie Paulus mit diesen Schmerzen umgeht und welchen Sinn er darin sieht. Er kennt sich selbst und seinen Charakter sehr genau. Er weiß um die Gefahr seiner Persönlichkeit, schnell überheblich zu werden. Ich stelle es mir so vor, dass immer, wenn er diese Schmerzen hatte, sich alles andere als überheblich fühlte. Sondern das genaue Gegenteil: Schwach, am Boden, verletzlich.

Ich finde es herausfordernd, diese Sichtweise auf mich und meine Migräne zu übertragen. Ist das auch ein von Gott eingebauter Schutzmechanismus gegen meine Überheblichkeit? Dass ich gelegentlich die Tendenz dazu habe, kann ich nicht leugnen.

Paulus beschreibt, wie er dafür gebetet hat, dass Gott ihn davon befreit. Doch Gott sagt zu ihm:»Meine Gnade ist alles, was du brauchst! Denn gerade wenn du schwach bist, wirkt meine Kraft ganz besonders an dir.« Das finde ich einerseits eine der unlogischsten Aussagen überhaupt (denn meine Logik sagt mir: Wer stark ist, ist stark und wer schwach ist, ist schwach) und gleichzeitig einen der umwerfendsten Zusprüche. Kann ich wirklich – durch Gottes Kraft – stark sein? Gerade dann, wenn ich eigentlich am schwächsten bin?

Mittlerweile kann ich sagen, dass mir diese Sichtweise sehr geholfen hat, mit der Migräne umzugehen. Ich sehe es heute vielmehr als Schutzmechanismus in doppelter Hinsicht: Einerseits, weil er dafür sorgt, dass ich nicht zu viel mache und mich überlaste. Andererseits, weil mir dadurch klar wird, dass ich weder perfekt bin, noch sein muss. Sondern auch meine Schwächen habe. Dass das ganz normal ist und ich dazu stehen kann. Trotzdem bin ich nicht dankbar für die Migräne und würde mir lieber wünschen ohne sie zu leben. Doch sie scheint einen Sinn zu erfüllen…

Was Paulus im letzten Abschnitt dieses Textes schreibt, finde ich noch herausfordernder. Er sagt, dass er stolz auf seine Schwachheit ist und „alles mit Freude“ ertragen will, weil er weiß: „Wenn ich schwach bin, bin ich stark.“ Ich weiß nicht, ob ich authentisch sagen kann, dass ich stolz auf die Migräne bin und mich freue, sie zu ertragen. Ich würde es mir wünschen. Doch sie bleibt nach wie vor ein Handicap. Ein Handicap, ohne das meine Persönlichkeit jedoch nicht ein Stückchen gereift wäre. Und das mich, auch wenn es Jahre – vielleicht sogar ein Jahrzehnt gedauert hat – sonst nicht weitergebracht hätte. Und wenn ich mich mal wieder in irgendwelchen von Endorphinen gefüllten Sphären bewege, tut es mir gut, ab und zu wieder geerdet zu werden. Wenn auch gelegentlich auf unangenehme Art und Weise. Manche Sachen muss man eben auf die harte Tour lernen.

by spaghettihirn

Danke an Hermes Rivera für das Beitragsbild!

7 Gott selbst hat dafür gesorgt, dass ich mir (…) nichts einbilde. Deshalb hat er mir ein quälendes Leiden auferlegt. Ein Engel des Satans darf mich mit Fäusten schlagen, damit ich nicht überheblich werde. 8 Dreimal schon habe ich den Herrn angefleht, mich davon zu befreien. 9 Aber er hat zu mir gesagt: »Meine Gnade ist alles, was du brauchst! Denn gerade wenn du schwach bist, wirkt meine Kraft ganz besonders an dir.« Darum will ich vor allem auf meine Schwachheit stolz sein. Dann nämlich erweist sich die Kraft von Christus an mir. 10 Und so trage ich für Christus alles mit Freude (…) Denn ich weiß: Gerade wenn ich schwach bin, bin ich stark.“

Inspiriert durch 2. Korinther, 12,7-10.

2 Gedanken zu „Von Schwachheit und Stärke

Kommentar verfassen