Wenn Freundschaft das Leben kostet


Inspiriert von 1. Samuel 20

„Natürlich will dein Vater mich umbringen! Wie oft hat er es schon versucht, wie oft?! Und immer wieder bin ich zurückgekommen! Und immer wieder hat er es versucht“,  brüllt er mich an, als hätte ich Schuld daran. „Ich kann mit ihm reden. Er würde auf mich hören“, sage ich schlichtend. „Das hast du letztes Mal versucht und wie lange ging das gut, mh? Jedes Mal bin ich wiedergekommen, jedes Mal hab ich seine Kriege gewonnen. Und was ist der Dank? Dass er mich umbringen will?“ Er wird noch ärgerlicher. Ich versuche ihn weiter zu beruhigen: „Ich kann doch auch nichts dafür. Aber wenn er es vorhätte, würde ich es wissen!“ „Einen Scheiß würdest du wissen! Glaubst du ernsthaft, er hätte nicht spitz gekriegt, dass wir Freunde sind? Er würde es dir nicht sagen! Ich glaube, du checkst nicht was hier los ist! Ich komme mit einem Sieg aus dem Krieg zurück, bin gerade angekommen, da muss ich plötzlich fliehen. Und wenn meine Frau, seine Tochter, mir nicht den Arsch gerettet hätte und ihren Vater und König angelogen hätte, würde ich jetzt nicht mehr leben! Jonathan, ich kann  so nicht mehr weiter machen!“ 

Okay zugegeben, meine Deeskalationsstrategie funktioniert nicht so wirklich. Wenn du dich fragst, was gerade los ist, hier die Kurzfassung: Der wütende Kerl, der hier gerade Dampf ablässt, ist David. Er hat nen Riesen getötet, wurde zum Volksheld, fährt seitdem einen Sieg nach dem anderen ein, hat die Tochter des Königs geheiratet, als Brautpreis hat er 200 Philistern getötet und ihnen danach am Pimmel herumgeschnippelt – heftiger Typ. Und, naja, was soll ich sagen, er ist mein bester Freund. Wer bin ich? Jonathan, der älteste Sohn des Königs. Und unser Problem: mein Vater ist eifersüchtig, jähzornig, impulsiv und hat des Öfteren versucht, ihn umzubringen. Entweder hat er es selbst versucht oder durch das Verlangen eines Brautpreises, bei dem David eigentlich drauf gehen sollte. Zuletzt hat Davids Frau ihn aus einem Fenster geschmuggelt, dass er fliehen konnte und erzählt, er sei krank. Das ist aufgeflogen und sie musste den König, ihren Vater anlügen, um glimpflich davonzukommen. Das Mal davor hab ich ihn aus dem Schlamassel gezogen und meinen Vater umgestimmt. Wie auch immer, irgendwie bin ich hier zwischen die Fronten geraten, zwischen König und Volksheld, zwischen Vater und besten Freund. Und glaubt mir, ich würde alles tun, damit hier wieder alles ins Lot kommt. Aber ich habe auch keine Ideen mehr.

„Und was, David, soll ich tun? Sag es mir und ich mach‘s!“ „Eine Chance, eine letzte Chance, will ich ihm geben. Und wenn das nicht gut geht, werde ich gehen – für immer, das ist die einzige Option“, sagt er, den Blick senkend. „Dein Ernst?“, frage ich. „Mein Ernst, ich kann hier nicht leben und ständig damit rechnen, dass mich der nächste Typ umbringt, der mir über den Weg läuft“, sagt er. „Und was dann?“, frage ich. „Die große Revolution? Das würdest du nicht machen. Willst du dein Leben lang fliehen? Bis er irgendwann stirbt?“ Er zieht die Schultern hoch. „Ich weiß es nicht. Ich weiß nicht, wie es weiter geht. Nur, dass es so nicht weiter gehen kann. Aber eine letzte Chance gebe ich ihm noch.“ „Und was schwebt dir vor?“, frage ich. Er packt mich an der Schulter und schaut mir scharf und entschlossen in die Augen, wie schon so oft, wenn er einen Plan gehabt hat. „Du weißt doch, dass ich eigentlich mit dem König zu Abend essen sollte. Ich werde nicht gehen. Aber du gehst. Und wenn er fragt, wo ich sei, sagst du, ich sei wegen eines wichtigen familiären Notfalls in meine Heimat gefahren. Je nachdem, wie er reagiert, werden wir wissen, was er wirklich über mich denkt. Was hältst du davon?“ „Guter Plan, aber wie glaubst du, erfährst du von seiner Reaktion? Ganz sicher wird er checken, dass ich in der Sache drinhänge und dann werde ich unter ständiger Beobachtung stehen“, decke ich die Schwachstelle seines Planes auf. „Stimmt. Du hast recht. Dann gib mir ein Zeichen. Geh Bogenschießen! Und wenn dein Diener die Pfeile sucht, rufst du, dass sie entweder links oder rechts liegen. Ich werde mich verstecken und es hören. Wenn du links rufst, bin ich willkommen, wenn du rechts rufst, will er mich umbringen und ich werde gehen.“ Ich seufze. „Okay. So machen wir es. Ich hätte nie gedacht, dass es so weit kommen muss.“ „Ich auch nicht. Ich verstehe die Welt nicht mehr, und vor allem nicht, was Gott damit bezwecken möchte. Er lässt mich als Junge zum König salben, steht mir in allen Kriegen bei und lässt mich groß rauskommen. Und wozu? Damit ich in ständiger Angst lebe und darauf warten muss, dass mein König, Schwiegervater und Vater meines besten Freundes stirbt? Was soll der Scheiß? Ich bezahle mit meiner Ehe, meinem Ruf, mit meinem besten Freund und schließlich mit meinem Leben für eine Berufung, nach der ich nie gefragt habe! Wie konnte Gott das zugelassen?“ Er schaut mich fragend an. Als wüsste ich die Antwort darauf. „Keine Ahnung, Mann. Ich könnte dich dasselbe fragen. Aber ich hab bei meinem Vater gesehen, was passiert, wenn man ungeduldig wird und die Sachen lieber selbst in die Hand nimmt, anstatt sie Gott zu überlassen. Das darf uns nicht passieren, verstehst du?! Irgendwann wird Gott die Dinge richten!“ appelliere ich an ihn. „Irgendwann“, erwidert er etwas widerwillig. Wir gehen auseinander.

Als es Abend ist, mache ich mich auf den Weg zum königlichen Speisesaal. Meine Hände sind kalt. Mein Hals irgendwie trocken und kratzt. Jetzt wird es sich entscheiden. Mein Vater sitzt schon da, am Kopf des Tisches. Seit er von Davids und meiner Freundschaft weiß, zieht er es vor Abner, seinen Heerführer, auf meinem Platz neben ihm sitzen zu lassen, um mich zu demütigen. Aber ganz ehrlich: ich scheiße auf Tischordnungen und dieses Palastgehabe. „Guten Abend, mein Sohn“, hallt es verbittert durch die Halle. „Du bist spät.“ „Entschuldigt meine Verspätung, Vater“, sage ich erhobenen Hauptes. „Wo ist David? Er war eingeladen“, fragt er vorwurfsvoll. Ich hole nochmal Luft. „Er ist wegen eines familiären Notfalls in seine Heimat gefahren und wird erst in ein paar Tagen wiederkehren. Ich hoffe, ihr versteht das.“ Während ich rede, wird sein Kopf immer röter. Er presst die Lippen zusammen. Seine Halsader pocht. Diesen Ausdruck habe ich schon zu oft gesehen. „Du verdammter Hurensohn!“, er springt auf und sein Stuhl knallt hinter ihm auf den Boden. „Glaubst du, ich weiß nicht was läuft?! Du steckst mit diesem Verräter unter einer Decke. Siehst du nicht, dass er mir und dir den Thron nehmen wird? Du richtest unser Haus zugrunde, du bist eine einzige Schande für mich! Hol den Scheißkerl her, damit ich ihm diesen Speer zwischen seine Rippen rammen kann!“, brüllt er wutschnaubend. Ich stehe auch auf. Brennende Wut steigt in mir auf. So etwas von seinem eigenen Vater zu hören. Verletzend und entwürdigend. Aber ich lasse mich nicht auf sein Niveau herab. „So siehst du das also? Es gibt überhaupt keinen Grund, David das Leben zu nehmen. Er hat alles für dich getan! Das muss ich mir nicht anhören!“ Ich drehe mich um und gehe. Aus dem Augenwinkel sehe ich noch, wie mein Vater zu seiner Rechten greift und dann sehe ich etwas mit rasender Geschwindigkeit auf mich zufliegen. Im letzten Moment ducke ich mich. Der Speer bleibt zitternd in der Wand hinter mir stecken. Mein Puls rast. Ich gehe hastig durch die Tür. „Dann hau doch ab, und bring diese Nachricht dem stinkenden Verräter“, schreit mir mein Vater hinterher.

Ich renne den Gang hinunter. Gedanken und Gefühle überschlagen sich. Eines ist jetzt jedoch klar. David wird fliehen. Wir werden uns nicht, vielleicht nie wieder sehen. Mein Vater wird sich wieder einkriegen und bei mir angekrochen kommen, wenn sein Jähzorn sich gelegt hat. Aber ich bin durch mit ihm. Er versteht einfach nicht. Seine Zeit ist abgelaufen. Früher oder später wird David König werden, aber ich zweifle immer mehr daran, dass ich diesen Tag erleben werde. Gott wird seinen Weg mit David gehen. Das war mir von Anfang an klar. Unsere Freundschaft bedeutet mir alles. Ich hab meine Ehre, meine Familie und den Thron dafür aufgegeben. Ich hätte sogar mein Leben dafür gegeben. Gerade wäre es fast soweit gewesen. Auch wenn er es selten zeigt, David weiß, was er an mir hat. Und ich weiß, was ich an ihm habe. Seine Zeit wird kommen. Meine wird es nicht. Aber ist das nicht echte Freundschaft? Den anderen größer zu machen, ihm alles zu gönnen, füreinander zu kämpfen, sich selbst zu verschenken und die Konsequenzen zu ertragen? Selbst wenn man dabei ins Kreuzfeuer zwischen Familie, König, Vater, Ehre, Thron, Loyalität und zuletzt Gottes Plänen gerät. Selbst, wenn man sich selbst dafür aufgibt.

Photo by Kylo on Unsplash Jungs auf Auto

Kommentar verfassen