Wer bin ich?

Es ist Abend. Ich sitze im Sessel. Eine Tasse Tee in der linken, mein Handy in der rechten Hand. Es war ein ereignisreiches Wochenende. Im Sekundentakt wische ich mit meinem Daumen von rechts nach links. Innerhalb von Millisekunden setzten die Pixel des Bildschirms neue Bilder zusammen. Bilder vom Wochenende. Bilder von mir. Bilder von Freunden. Hin und wieder halte ich inne. Betrachte ein Bild genauer. Wische weiter. Bei einem Bild bleibe ich länger hängen. Zoome rein. Zoome raus. Hier den Kontrast erhöhen. Dort die Sättigung herunterschrauben. Der Weißabgleich stimmt noch nicht ganz. Ein kleines Feintuning noch. Nachschärfen. Fertig.

Speichern. Teilen. Instagram. Ich wische mich durch die verschiedenen Filter. Nach wenigen Minuten blicken mich auf dem Bild fünf Menschen vor einer überwältigenden Bergszenerie an. Bearbeitet. Korrigiert. Mit Filter überlagert. Während ich mein vollendetes Werk betrachte, frage ich mich: Spiegelt dieses Bild wirklich die Realität wieder? Wieso genau dieses Bild? Wieso nicht das, auf dem wir müde auf der matschigen Skipiste herumkrakseln? Bin das wirklich ich auf dem Bild? Oder ist das die Person, die ich gerne wäre? Wie definiere ich mich überhaupt?

Soziale Netzwerke sind voll mit Leuten, die in der Realität so nicht existieren. Wir setzen ein Idealbild von uns ins Netz. Wir kreieren eine Story um uns herum. Einen komplett neuen, virtuellen Menschen. Einen Menschen, den es eigentlich nicht gibt.

Doch wer bin ich dann?
Bin ich wirklich dieses stets gut gelaunte, immer abenteuerlustige, vor Selbstbewusstsein nur so strotzende, allseits beliebte Social-Media-Ich? Immer glücklich. Nie alleine. Überall dabei. Super Koch. Mega sportlich. Immer einen guten Spruch auf Lager.
Bin das Ich?

Wer bin ich?
Bin ich vielleicht das super lässige, die-Vorlesung-schwänzende, mit allen gut verstehende, ab und zu mal büffelnde Studenten-Ich? Hier mal ein blöder Spruch. Dort mal eine doofe Bemerkung.
Bin ich das?

Wer bin ich?
Bin ich vielleicht das überall mitarbeitende, fehlerfrei betende, extrem bibelfeste, übermäßig spendende Gemeinde-Ich? In der Worship-Band am Start. Teenkreis sowieso. Immer hilfsbereit. Alle lieben. Nie lügen.
Bin ich das?

Wer bin ich?
Bin ich das rasende, ungeduldige Autofahrer-Ich? Genervt von dem LKW vor mir. Hier mal aufblinken. Dort überholen. Ab und an auch mal eine Kurve schneiden.
Bin ich das?

Wer bin ich?
Bin ich das immer brave, vorbildliche, den Eltern helfende Familien-Ich? Uni läuft. Alles super. Muster-Sohn.
Bin ich das?

Bin das alles ich? Oder sind das alles unterschiedliche Menschen? Habe ich nicht selbst verschiedene Persönlichkeiten kreiert? Überall bin ich jemand anderes. Für jeden und an alles angepasst. Bloß nicht auffallen. Bloß nicht anecken. Auf keinen Fall aus der Reihe tanzen. Auf keinen Fall irgendwie anders sein. Ich versuche so zu sein, wie es mein Umfeld erwartet. Mitläufer. Situationen-Chamäleon.

Klingt ziemlich nach einer Identitätsstörung.
Sollte ich nicht überall derselbe sein?
Sollte ich nicht das Licht der Welt sein? Sollte ich nicht das Salz der Erde sein?
Wo ist dieser authentische Lebensstil den ich als Christ leben sollte?
Bin ich einfach nur ein Fähnchen im Wind?

In einem Lied von Hillsong heißt es:
„Who the Son sets free, Oh is free indeed. I’m a child of God. Yes I am!“
(Wen der Sohn befreit, ist wirklich frei. Ich bin ein Kind Gottes. Ja, das bin ich!)

Ich bin ein Kind Gottes.
Jesus Christus hat mich befreit.
Befreit davon, dass ich mich verstellen muss.
Befreit davon, dass ich Anerkennung von anderen Leuten brauche.

Ich bin geliebt. Ich bin ein Kind Gottes.

Wer bist du?


Photo Credits: Philipp Jenny
Author: Philipp Jenny

6 Gedanken zu „Wer bin ich?

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