Ich war über Ostern für eineinhalb Wochen zusammen mit meiner Familie und einer Reisegruppe in Israel. Wir haben uns dort sehr viel angesehen und mit sehr unterschiedlichen Menschen gesprochen. Das hat einige Gedanken in mir angeregt. Angesichts der militärischen Auseinandersetzungen des letzten Wochenendes gibt es noch einen Anlass, um ein paar Worte über Israel und den dort herrschenden Konflikt zu verlieren.
Während der Busfahrten durch Israel ist mir vor allem eines klar geworden: das Heilige Land ist sehr klein. Wenn man auf eine Karte schaut, ist Israel schon klein, aber dazu kommt noch, dass ein paar Kilometer südlich von Jerusalem, die Wüste anfängt und es sehr wenige Städte gibt. Ziemlich verrückt, wenn man bedenkt, was dort alles passiert ist.
Das zweite, was mir neu bewusst geworden ist: die Orte, von denen in der Bibel gesprochen wird, sind real. Das klingt jetzt etwas lächerlich. Aber manchmal weiß man etwas nur theoretisch. Und dann gibt es den Moment, in dem man praktisch erfährt, dass es tatsächlich so ist. Überall in Israel gibt es Ausgrabungsstätten und Fundorte von Städten und Orten, die man aus der Bibel kennt. Manchmal fühlt es sich an wie ein großes Outdoor-Museum, das sich selbst ausstellt.
Drittens: das ganze Land ist quer durch die Geschichte gezeichnet von Krieg und Konflikten, sowohl in religiöser, als auch in weltlich-politischer Hinsicht, wobei sich diese Bereiche nicht so klar voneinander abgrenzen lassen. Wir kennen das aus Deutschland nicht. Bei uns gab es bis vor 74 Jahren auch oft Kriege, aber diese waren meist „intern“ deutsch oder europäisch. Zum Beispiel gab es bei uns immer viele zersplitterte Fürstentümer und Uneinigkeit, aber niemals diesen wiederkehrenden Wandel in Politik, Religion und Kultur wie in Israel. Dort kann man die vergangenen Jahrhunderte erleben, wenn man einfach immer ein paar Meter tiefer unter die Erde geht. Denn wenn etwas zerstört wurde, hat man es zugeschüttet und einfach darüber weitergebaut. Also jüdische Zeit, Griechen unter Alexander dem Großen, Römer, Byzantiner, Araber, Kreuzfahrer, Osmanen, Briten usw. – alles übereinander. Und immer Krieg, Umwandlung und Umsiedlung ganzer Bevölkerungen, totale Änderungen von Religion und Kultur. Seit 1948 ist Israel nach über 2000 Jahren wieder ein eigenständiger, unabhängiger Staat unter jüdischer Regierung. Natürlich wohnen auch Muslime und einige Christen in Israel, aber der Staat ist jüdisch. Dann sind noch einige muslimisch geprägte Palästinenser in Autonomie-Gebieten angesiedelt, die Israel nicht anerkennen und selbst Anspruch auf das Land erheben. Und dort zeigt sich heute die ewige Frage: Wer hat Anspruch auf Israel, Palästina, das Heilige Land?
Die Motive dahinter sind teils religiös, teils politisch, teils durch soziale Nöte getrieben, und vor allem sehr komplex und vielschichtig. Alles hat auch seine eigene Geschichte. Konflikte schwelen weiter vor sich hin und schließlich werden mal wieder Raketen abgeschossen, wie letztes Wochenende.
Ich behaupte, dass uns militärische Auseinandersetzungen zur Lösung von Konflikten in Deutschland weitestgehend fremd geworden sind – vor allem in meiner Generation. Nicht, dass wir nicht wüssten wie das geht, sondern es ist so etwas, was ich oben kurz beschrieben habe. Man kann es sich theoretisch vorstellen, aber wie es praktisch ist, weiß man nicht. Die Erfahrung fehlt.
Nach vielen Gesprächen mit Leuten im Land, die sich mit der Auseinandersetzung beschäftigt haben und eigenem Lesen von Informationen und Nachrichten würde ich die militärische Situation ganz kurz und unvollständig so zusammenfassen. Israel ist kein Unschuldslamm, aber agiert weitestgehend passiv und reaktiv. Die Hamas als Regierung der Palästinenser verhält sich aggressiv – wie auch vergangenes Wochenende gehen Angriffe in der Regel von ihnen aus. Wenn man in Deutschland erzählt, dass man in Israel war, fragen viele: Ist dort alles ruhig, ist das nicht gefährlich? Aus meiner Sicht fühlen sich die Israelis nicht unmittelbar gefährdet, sondern eher sicher und ich schließe mich an. Das liegt unter anderem daran, dass ihr eigenes Verteidigungssystem Weltklasse ist. Raketen der Palästinenser werden meistens abgeschossen. Das der Palästinenser ist es allerdings nicht. Hier wird verhältnismäßig mehr Geld in Angriffswaffen gesteckt, als in den Schutz der Bevölkerung. Das führt dazu, dass bei militärischen Auseinandersetzungen viel mehr Palästinenser sterben als Israelis. Ich finde offenen Krieg prinzipiell schlecht aber frage mich: Wann ist er nicht mehr so schlecht wie die „tatenlose“ Alternative? Was bedeutet es für eine Regierung, Verantwortung zu übernehmen?
In Deutschland stoßen uns solche militärischen Auseinandersetzungen übel auf. Und ich glaube auch, weil wir es nicht nachempfinden können. Besonders, wenn religiöse Motive ein Rolle spielen. Neulich erzählte ich in der Uni davon und eine Kommilitonin entgegnete: „Warum schließen die nicht einfach Frieden, wir glauben doch alle an einen Gott!“ Richtig. Aber nicht an denselben. Und das macht einen riesigen Unterschied. Das näher zu erklären würde einen weiteren Beitrag fordern.
In Israel ist mir sehr deutlich geworden, dass Glaube und Religion politisch sind. Im Islam sieht man es heutzutage deutlich. In den meisten arabischen Staaten herrscht eine islamische Regierung und der Staat macht islamische, religiös-motivierte Politik und verfolgt dementsprechend Ziele. Bei den Juden ist es etwas anders. Um Jude zu sein, muss man heute nicht an den jüdischen Gott glauben. Es gibt auch säkulare Juden. Jude ist man aufgrund des eigenen Stammbaums. Ist die eigene Mutter Jüdin, ist man es auch zunächst. Juden bilden ein Volk, eine Nation. Eine jüdische Identität ist also nicht unbedingt eine individuelle Angelegenheit des Glaubens, sondern möglicherweise national-politisch. Wenn man allerdings gläubiger Jude ist, glaubt man an den Gott Israels. Und nicht einfach nur an Gott. Gott ist nicht privat – weder für Juden, noch für Muslime.
Was ist mit Christen? Christ ist man aufgrund des individuellen Glaubens. An wen? An den Gott Israels. Der entscheidende Unterschied ist: Jesus Christus ist der den Juden verheißene König und Retter – also der jüdische Messias. Allerdings hat er durch seine Lehre, sein Handeln, seinen Tod, seine Auferstehung und das Senden des Heiligen Geistes, den Zugang zu dem Gott Israels für alle Völker geöffnet. Wenn man zum Club gehören will, braucht man keine jüdische Mutter mehr, sondern eine lebendige, auf Vertrauen und bedingungsloser Treue basierende Beziehung zu Jesus, und durch Jesus zum Gott Israels. Und was sagt Jesus über diesen neuen Club? Er verkündigt den Beginn seiner eigenen Königsherrschaft in seinem Königreich. Nur nicht als weltlicher Staat, sondern als eine Art geistlicher Staat. Das bedeutet: Jeder Christ ist zunächst mal seinem König – aka Jesus – und seinem Königreich verpflichtet und dann erst seinem weltlichen Staat oder sich selbst oder seiner Familie, was auch immer (Matthäus 6,33). Jesus setzt sich über weltliche Politik hinweg und fordert ein Umdenken, das vom Individuum ausgehend gesellschaftliches Zusammenleben, Meinungsbildung und politisches Handeln betrifft. Christlicher Glaube ist also extrem politisch, denn letztendlich stellt sich die Frage: Wer regiert? Wer sitzt auf dem Thron?
Auf meinem sitzt ein jüdischer Zimmermann, Jesus.
Und der hat einen Vater, der sich Gott Israels nennt, der die Landesgrenzen für sein Volk in etwa festgelegt hat und verspricht sein Volk wieder dort zu sammeln (vgl. Jeremia 31). Ihr könnt euch selbst fragen, ob ihr denkt, dass diese Grenzen auch heute noch Geltung bekommen sollten und euch eine Meinung bilden. Ich habe zumindest nichts Neues von Gott bezüglich dieses Themas gehört oder gelesen und meine Auseinandersetzung mit dem Thema gewissenhaft geführt. Deswegen bin ich jetzt der Meinung, dass Israel ein Recht auf sein Land hat. Leider habe ich keinen Masterplan für die beste und friedlichste Lösung des Konflikts, aber in Israel habe ich neu gelernt, dass mein Glaube politisch ist.
Euer Lukas
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