Wie die Menschheit sich von der Freiheit befreite

Es gibt keine absolute, grenzenlose Freiheit. Das wird schnell klar, wenn man kurz darüber nachdenkt. Bleibt also die Frage, welche Grenzen der Freiheit zu setzen sind. Dazu lohnt es sich Larissas Beitrag zu lesen. Sie schreibt, dass Freiheit nicht auf Kosten oder zur Unfreiheit anderer ausgelebt werden sollte. Und um das zu gewährleisten, braucht es ein paar Regeln oder Gesetze. Aber welche? Und wer hat die Autorität solche zu machen? Wer sagt, was richtig und was falsch ist?

In dieser Frage nach dem Wer gibt es verschiedene Modelle. Es könnte jemand sein, dessen Vater zuvor über Richtig und Falsch entschied. Oder eine Person, die von allen gewählt wurde. Es könnten auch immer die Reichsten sein. Oder die Ärmsten. Es könnte auch ein Tier sein. Oder ein Gott. Oder der Wind. Es gibt unzählige, mal bessere, mal schlechtere Modelle. Aber am Ende bestimmt immer irgendjemand was richtig und falsch ist. Man kann dazu auch Gut und Böse sagen.

In Europa hat die geschichtliche Entwicklung dazu geführt, dass der für autonom gehaltene Verstand der Menschen deren Freiheit begründet und zwischen Gut und Böse unterscheiden kann. Im 18. Jahrhundert dachte man sogar, dass man die Menschheit über drei bis vier Generationen so weit erziehen könne, dass sich das Gute gewissermaßen verselbstständigt. So zum Beispiel der französische Aufklärer Jean-Jacques Rousseau. Das hat übrigens nicht geklappt. Heute setzt man hierzulande vor allem auf Demokratie und Dialog, zumindest wenn es gut läuft. Und das ist sicherlich eine der besseren Lösungen. Irgendwie hat man sich mit der Unvermeidbarkeit menschlicher Bosheit abgefunden und versucht diese durch Gesetze, Erziehung, Moral usw. im Zaum zu halten. Ich nenne das mal: Freiheit durch Selbstregulation.

Einen Gegenentwurf liefert die biblische Erzählung. Den Anfang finde ich besonders spannend. Am Anfang kannten die Menschen die Alternative von Gut und Böse noch nicht. Mich würde zu sehr interessieren, wie sich das angefühlt haben muss. Es entzieht sich ein Stück weit unserer Vorstellung. Gott hatte alles sehr gut geschaffen, auch die Menschen. Sie hatten genug zu tun, einen Sinn und einen Auftrag. Und sie waren frei und lebten in umfassendem Frieden. Irgendwie gab es einfach keinen Anlass für Kategorien wie Gut und Böse. Gott kannte diese zwar, aber man brauchte sie wohl nicht. Aber dann gab da es diesen Baum. Wer davon aß, bekam Kenntnis über Gut und Böse. Gott wollte nicht, dass die Menschen davon essen. Warum es den Baum dann trotzdem gab, weiß niemand. Aber darum geht es in der Erzählung auch nicht. Unter anderem wird hier deutlich wie Freiheit nach biblischem Modell funktioniert. Ich nenne das: Freiheit durch Bindung an Gott. Er hatte die Welt sehr gut geschaffen und er garantierte Freiheit und Frieden. Damit hatte er seine guten Absichten wohl mehr als bewiesen. Schon die Tatsache, dass er überhaupt etwas schafft, verdeutlicht das. Immerhin war Gott vor der Schöpfung alles, was es gab. Aber er wollte unbedingt, dass es etwas neben ihm gibt – und gab es dafür auf „alles“ zu sein.

Schließlich aßen die Menschen doch von dem Baum. Ich stelle es mir so vor, dass sie nicht wussten, dass das böse ist. Nur, dass der, der sich eigentlich als vertrauenswürdig erwiesen hatte, das nicht wollte. Doch sie wurden belogen und ließen sich verführen. Sie hatten jetzt Kenntnis von Gut und Böse. Als erstes bedeckten sie sich mit Pflanzen, weil sie nackt waren. So wie sie geschaffen waren, fühlten sie sich nicht mehr frei. Gott hatte sie sehr gut und sehr frei geschaffen. Aber so konnten sie sich selbst nicht akzeptieren. Sie wollten nicht frei durch Bindung an Gott sein. Gott hatte sie so frei geschaffen, dass sie seinen Freiheitsentwurf ablehnen konnten. Jetzt versuchten sie frei zu sein durch Selbstregulation und bedeckten sich mit Blättern. Am Abend spricht Gott sie darauf an und fragt: „Wer hat euch überhaupt gesagt, dass ihr nackt seid?“ Das finde ich bemerkenswert. Gott kannte sie so nicht. Er hatte sie zur Freiheit geschaffen. Aber sie schätzten sich nun anders ein. Sie hatten ihre Freiheit durch Bindung an Gott verspielt. Die Konsequenzen waren verheerend. Stück für Stück ging alles in die Brüche, was mal schön, heil und ganz war.

Der ganze Rest der Bibel erzählt die Geschichte, wie Gott versucht durch unzählige Initiativen diesen Bruch zu reparieren. Dabei ist ihm eins der wichtigsten Anliegen, den Menschen ihre Freiheit zurückzugeben. Die erste richtige Begegnung mit seinem Volk Israel handelt davon, wie er sie aus der Sklaverei befreit. Er will sich an dieses Volk binden und ihnen Freiheit in dieser Verbindung schenken. Wie diese Verbindung konkret und praktisch gelebt werden kann, hält er sogar schriftlich fest. Doch schon als das Volk ein paar Tage auf die Rückkehr ihres Anführers Mose warten muss, bauen sie sich einen Gott aus Gold. Sie schaffen sich eine eigene Ordnung. Sie hoffen auf Freiheit durch Selbstregulierung.

So nimmt die Erzählung ihren Lauf. Auf Gottes Initiative für Freiheit durch Bindung an ihn folgen Autonomiebestrebungen und Selbstregulation der Menschen. Irgendwann wird Gott in Jesus Mensch. Für mich ist das die schönste Botschaft der biblischen Erzählung. Eine engere Bindung an die Menschheit hätte es wohl nicht geben können. Zum bitteren Tod Jesu am Kreuz gibt es viele Deutungen. Aber eine krassere Protestreaktion auf die wiederholte Ablehnung der Menschen kann ich mir kaum vorstellen. Seine anschließende Auferstehung und Himmelfahrt bezeugt der Welt bis heute und in alle Ewigkeit, dass selbst der Tod die Freiheit durch Verbindung mit Gott nicht antasten kann. Aber damit nicht genug. Gott will noch näher sein. Er will mit einem Teil von sich, seinem Geist, in die Menschen hinein kommen, die sich auf seine Initiativen einlassen. Das tut er, um damit anzufangen, die Welt und die Menschen wieder heil und ganz werden zu lassen – bis er eines Tages alle Risse und Wunden der ganzen Schöpfung heilen wird und die Freiheit in der Bindung an ihn unangefochten und alternativlos übrig bleiben wird.

Rückblickend meine ich, dass die Bibel ein sehr pessimistisches Zeugnis über das selbstregulative Freiheitsbestreben der Menschen ablegt. Sie erzählt die Geschichte von unzähligen gescheiterten Befreiungsversuchen der Menschen und der einen Freiheit, die unantastbar ist, weil Gott sie ermöglicht. Aber macht euch am besten selbst ein Bild davon. Freiheit kann sich niemand nehmen. Man kann sie sich nicht konstruieren. Man hat sie oder man kann sie bekommen. Selbstauferlegte Gesetze, Verfassungen und Regeln können unserer Leben ordnen, Orientierung und Sicherheit bieten, gesellschaftliches Leben und Freiheit bis zu einem gewissen Punkt ermöglichen. Aber sie können auch zusammenfallen wie ein Kartenhaus. Und dafür muss man nicht die Bibel aufschlagen, es reicht ein Geschichtsbuch oder ein ehrlicher Blick in die eigene, innerste Dunkelheit. Vollkommene Freiheit gibt es nur in Verbindung mit Gott durch Jesus Christus im Geist Gottes. Eine Freiheit, die Gott uns zuspricht und bei der er die Grenze zwischen Gut und Böse verantwortet bis er das Böse eines Tages endgültig besiegt. Das ist meine tiefste Überzeugung. 

Euer Lukas


Photo by Max Kobus on Unsplash

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